Abtauchen oder neu erfinden?

Zur Zukunft von Schwimm­bä­dern als gesell­schaft­liche Orte

Viele Schwimm­bäder hier­zu­lande sind mit enormem Sanie­rungs­stau und stei­genden Ener­gie­preisen konfron­tiert, immer drän­gender stellt sich die Frage, ob sich der Betrieb noch lohnt. Doch verliert die Gesell­schaft womöglich mehr als ein Freizeit- und Sport­an­gebot, wenn diese Gebäude aus der Nutzung fallen? Und was könnten Konzepte sein, um die gesell­schaft­liche Bedeutung von Bädern auch in andere Nutzungen zu über­führen? Diesen Fragen geht Die Architekt-Chef­re­dak­teurin Elina Potratz anhand von vier Beispiel­pro­jekten nach.

Für die Behaup­tung, dass Schwimm­bäder demo­kra­ti­sche Räume sind, spricht schon einmal eines: Mit nassem Haar und in Bade­klei­dung ist in der Regel nicht erkennbar, ob jemand im Loft oder in einer Einzim­mer­woh­nung lebt, ob das Konto überzogen ist oder man von den Zinsen lebt. Status­sym­bole und andere Zeichen sozialer Distink­tion bleiben weit­ge­hend in der Umklei­de­ka­bine zurück. Schwimm­bäder gehören also zu den Orten, wo wir uns grund­sätz­lich etwas „gleicher“ gegen­über­treten als andern­orts.

Auch der Histo­riker Matthias Oloew, der die Archi­tek­tur­ge­schichte von Schwimm­bä­dern1 unter­sucht hat, beschreibt sie als Orte, „an denen wir uns alle gleich­be­rech­tigt begegnen“. Gerade deshalb seien sie „Objekte der Kultur“, in denen sich eine demo­kra­ti­sche Errun­gen­schaft unserer Gesell­schaft mani­fes­tiere.2Matthias Oloew: Schwimm­bäder. 200 Jahre Archi­tek­tur­ge­schichte des öffent­li­chen Bades. Berlin 2019. ↩︎Matthias Oloew in: „Das Freibad als demo­kra­ti­scher Ort: Wahr oder Folklore?“, WDR 3 Kultur am Mittag vom 23.8.2024 ↩︎

In der Tat spiegelt sich auch in der Geschichte von Schwimm­bä­dern ein Prozess gesell­schaft­li­cher Egali­sie­rung und Demo­kra­ti­sie­rung. Recht lange in der rund 200-jährigen Karriere der öffent­li­chen Bäder waren etwa Geschlecht und Vermögen noch trennende oder sogar ausschlie­ßende Faktoren. Ein besonders dunkles Kapitel war der Bäder­an­ti­se­mi­tismus, der in der NS-Zeit seinen Höhepunkt erreichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg schließ­lich führte der Wirt­schafts­boom zum Bau zahl­rei­cher Hallen­bäder, in denen – zumindest der Theorie nach – alle als Gleiche zusam­men­kommen.3Oloew 2019. ↩︎

Unter- oder über­schätzt?

Dass Schwimm­bäder einen Beitrag zur Demo­kratie leisten – indem sie den Austausch zwischen Menschen fördern, ein respekt­volles Mitein­ander begüns­tigen oder sogar Toleranz und Mitgefühl stärken –, wird immer wieder betont und wäre sicher­lich wünschens­wert. Völlig unum­stritten ist diese Vorstel­lung jedoch nicht. Eine Ausstel­lung, die momentan im Haus der Geschichte Baden-Würt­tem­berg zu sehen ist, trägt den Titel „Frei Schwimmen. Gemeinsam?!“ und thema­ti­siert auch die aktuellen Konflikte, die sich rund um das Schwimmbad drehen. Dabei geht es um Fragen von Nacktheit und Verhül­lung, um geschützte Räume für behin­derte und queere Menschen sowie um Gewalt und Eska­la­tionen in Frei­bä­dern.

Proji­zieren wir also zu viel in diese Bauauf­gabe und über­schätzen wir ihre gesell­schaft­liche Bedeutung? Oder sind Schwimm­bäder wirklich essen­ziell für das Mitein­ander? Diese Frage ist heute rele­vanter denn je, da viele Bäder aus den 1960er- und 70er-Jahren stammen und inzwi­schen ein kriti­sches Alter erreicht haben, in dem eine umfas­sende Sanierung ansteht.

Zudem ist durch die gestie­genen Ener­gie­kosten umso deut­li­cher geworden, welch enormen finan­zi­ellen und ener­ge­ti­schen Aufwand der Betrieb von Schwimm­bä­dern erfordert. Sie sind auf erheb­liche Subven­tionen ange­wiesen, da die Eintritts­gelder die Kosten bei Weitem nicht decken. Wie Christian Kuhn, Vorstands­vor­sit­zender der Deutschen Gesell­schaft für das Badewesen, betont, könne zwar derzeit nicht von einem flächen­de­ckenden Bäder­sterben die Rede sein, dennoch sei die Situation kritisch: „Tatsäch­lich haben schon ein paar Bäder schließen müssen, aber die Wasser­fläche ist nicht geschrumpft. Das eigent­lich Problem ist der enorme Sanie­rungs­stau. Solche Inves­ti­tionen können sich die meisten Kommunen nicht leisten.“ Droht damit also in den nächsten Jahren vieler­orts nicht nur eine bauliche, sondern auch eine gesell­schaft­liche Ressource zu verschwinden?

Auch wenn die Bedeutung von Schwimm­bä­dern nicht exakt quan­ti­fi­zierbar ist, erfüllen sie zentrale Merkmale demo­kra­ti­scher Orte – und das in einer Zeit, in der solche Räume in Städten womöglich seltener werden. Sie sind nied­rig­schwellig und (meist) ohne große finan­zi­elle Hürde zugäng­lich, liegen oft zentral oder sind gut mit öffent­li­chen Verkehrs­mit­teln erreichbar. Und wer den Eintritt einmal gezahlt hat, kann sich dort aufhalten, ohne ständig weiteres Geld ausgeben zu müssen. Gerade deshalb – und vermut­lich auch, weil Schwimmen zu den belieb­testen Sport­arten zählt – treffen im Schwimmbad besonders viele unter­schied­liche Milieus und Alters­gruppen aufein­ander. Es entsteht eine soziale Durch­mi­schung, die es ermög­licht, die eigene Blase zu verlassen und mit Menschen in Kontakt zu kommen, denen man im Alltag viel­leicht nicht begegnen würde.

Nicht zuletzt – darauf weisen Orga­ni­sa­tionen wie die Deutsche Lebens­ret­tungs­ge­sell­schaft (DLRG) immer wieder hin – sind Schwimm­bäder essen­ziell, um das Schwimmen zu erlernen. Schlie­ßungen führen zwangs­läufig dazu, dass immer mehr Menschen nicht schwimmen können, was das Risiko von Bade­un­fällen erhöht. Laut DLRG kann bereits jedes zweite zehn­jäh­rige Kind nicht sicher schwimmen. Doch die Folgen reichen über die unmit­tel­bare Gefahr hinaus: Wer nicht oder nur schlecht schwimmen kann, ist in seiner Teilhabe am gesell­schaft­li­chen Leben einge­schränkt. Ein wichtiger Bereich der Frei­zeit­ge­stal­tung und Bewegung bleibt diesen Menschen verschlossen.

Gerade in kleinen Städten und Gemeinden stoßen selbst die besten Absichten an ihre Grenzen. In Bayern mussten seit 2018 beispiels­weise rund 15 Bäder schließen. Neben finan­zi­ellen Aspekten spielt dabei auch der Rückgang der Besu­cher­zahlen eine Rolle – und es ist nach­voll­ziehbar, dass Kommunen Kosten und Nutzen abwägen müssen.

Hoch­kultur und Ort der Nach­bar­schaft

Dass geschlos­sene Schwimm­hallen nicht unmit­telbar abge­rissen werden, ist oft dem Zufall geschuldet oder dem Umstand, dass sie unter Denk­mal­schutz stehen. So war es auch im bran­den­bur­gi­schen Lucken­walde, das nicht nur Mendels­ohns berühmte Hutfabrik, sondern auch ein Schwimmbad aus den 1920er-Jahren besitzt, entworfen von Hans Hertlein. Dieses wurde bis 1990 durch die Abwärme des benach­barten Elek­tri­zi­täts­werks beheizt. Nach der Wende jedoch, als viele Indus­trie­be­triebe schlossen und die Nachfrage nach Energie ausblieb, wurde das E‑Werk über­flüssig – und mit ihm die Wärme­quelle für das Schwimmbad, das daraufhin ebenfalls den Betrieb einstellen musste.

Erst nachdem das E‑Werk 2019 als Kulturort wieder­be­lebt wurde, rückte auch das ehemalige Schwimmbad wieder in den Fokus. Der Künstler Pablo Wendel und die Kuratorin Helen Turner sind Betreiber des E‑Werks, einem Zentrum für zeit­ge­nös­si­sche Kunst, das aber zugleich wieder Strom produ­ziert – jedoch heute nicht mehr aus Braun­kohle, sondern aus Biomasse. Wendel und Turner erkannten schnell das räumliche Potential des Stadtbads und begannen, auch dort Kunst- und Kultur­pro­jekte zu reali­sieren.

Für Pablo Wendel war die Auffüh­rung der zeit­ge­nös­si­schen Oper Sun & Sea, die 2019 auf der Kunst­bi­en­nale urauf­ge­führt wurde und den Goldenen Löwen gewann, schließ­lich der Durch­bruch für die ehemalige Schwimm­halle: „Das war ein Game­ch­anger. Hier kamen sowohl Kunst­fach­leute als auch Nach­ba­rinnen und Nachbarn aus Lucken­walde zusammen – und alle waren begeis­tert. Zum ersten Mal zeigte sich, welche Quali­täten das Stadtbad für die kultu­relle und soziale Nach­nut­zung besitzt.“

Vor drei Jahren wurde für das Projekt eine städ­te­bau­liche Förderung bewilligt – aller­dings unter der Auflage, dass die Stadt zwei Millionen Euro beisteuert. Nach langen Diskus­sionen stellte sie schließ­lich nur die Hälfte bereit, wodurch auch nur drei statt sechs Millionen Euro Gesamt­för­de­rung zur Verfügung stehen. Gleich­zeitig wurde mit Mitteln aus der Kultur­för­de­rung eine „Phase 0“ durch das junge Planungs­büro Rurbane Reali­täten in Auftrag gegeben.

Akti­vie­rung durch Zugäng­lich­keit

Rurbane Reali­täten, Stadtbad Phase 0, Lucken­walde, Foto: Rurbane Reali­täten

Im Zentrum der „Phase 0“ stand die Frage, wie der Ort wieder in das Bewusst­sein der Bevöl­ke­rung gerückt und lokale Mitstreiter gefunden werden können, um ihn zu akti­vieren. „Im länd­li­chen Raum und in struk­tur­schwä­cheren Gegenden ist eine Kommune darauf ange­wiesen, dass die Räume durch zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment mitbelebt und getragen werden“, meint Nelli Fritzler von Rurbane Reali­täten.

Ein wichtiges Mittel, um das Interesse der Stadt­be­wohner zu wecken, war es, Erin­ne­rungen an das Stadtbad aufleben zu lassen. Die Plane­rinnen Nelli Fritzler und Anna Holzinger luden die Bevöl­ke­rung ein, ihre Geschichten über Post­karten oder einen eigens einge­rich­teten Anruf­be­ant­worter zu teilen. Die Aktion kulmi­nierte schließ­lich in einer Kunst­per­for­mance, bei der das Bad für die Öffent­lich­keit zugäng­lich gemacht wurde. Mit Musik aus der Zeit, als das Bad noch in Betrieb war, dem typischen Chlor­ge­ruch und Zeit­zeugen, die über Mikrofone ihre persön­li­chen Erin­ne­rungen erzählten, wateten die Menschen durch Kunst­nebel im ehema­ligen Schwimm­be­cken.

Nelli Fritzler beschreibt das Zugäng­lich­ma­chen des Raums als einen zentralen Moment: „Raum­po­ten­ziale zu vermit­teln bedeutet oft einfach, den Menschen die Möglich­keit zu geben, den Raum zu betreten und das Potenzial selbst zu erleben.“ Für Pablo Wendel wiederum war die Perfor­mance bereits eine erste künst­le­ri­sche Aktion mit der Bevöl­ke­rung vor Ort, die zugleich half, den Blick in die Zukunft zu öffnen: „Wir haben zunächst zurück­ge­schaut – aber dabei schaut man natürlich auch auto­ma­tisch nach vorne.“ Gleich­zeitig zeigte sich bei der tempo­rären Nutzung des Gebäudes, welche konkreten baulichen, brand­schutz­tech­ni­schen und weiteren Probleme bei der Nutzung bestehen. Diese Erkennt­nisse flossen bereits in die Ausschrei­bung für den Umbau ein, die mitt­ler­weile veröf­fent­licht wurde.

Pablo Wendel blickt zwar zuver­sicht­lich in die Zukunft und hofft, den geplanten Kulturort weiter mitbe­treiben zu können. Gleich­zeitig sind ihm die Heraus­for­de­rungen und Risiken des Projekts durchaus bewusst: „Einen solchen Ort zu betreiben, kostet Geld – nicht nur für den laufenden Betrieb, sondern auch für zukünf­tige Sanie­rungen. Das Projekt soll sich finan­ziell selbst tragen – besonders für eine kultu­relle Nutzung ist das eine große Heraus­for­de­rung. Das E‑Werk ist bemüht, gemeinsam mit der Stadt ein stimmiges Konzept zu entwi­ckeln.“ Die archi­tek­to­ni­schen Eingriffe sollten seiner Ansicht nach daher „möglichst offen und multi­funk­tional“ gestaltet werden, denn: „Wir wissen nicht, was in fünf Jahren ist, und wir wissen nicht, welche Nutzungen sich wirklich durch­setzen werden.“

Gemischte Nutzung im Denkmal

KM Archi­tekten, Umbau Hallenbad Ost, Kassel, Foto: KM Archi­tekten
KM-Archi­tekten, Hallenbad Ost 2021

In Kassel war es ebenfalls ein Denkmal aus der Bauhaus­zeit, das nach über zehn Jahren Leerstand wieder­be­lebt werden konnte. Das Hallenbad Ost, entworfen von Ernst Rothe und Gerhard Jobst und 1930 eröffnet, war bis 2007 in Betrieb – bis Teile der Decken­kon­struk­tion herab­zu­fallen drohten und das Bad geschlossen wurde. Ein Gutachten zeigte, dass der Beton der Decken­kon­struk­tion durch Chlor­eintrag korro­diert war, was bei zahl­rei­chen Schwimm­bä­dern ein Sanie­rungs­grund ist. Sogar der Abriss des Gebäudes wurde schließ­lich genehmigt. Glück­li­cher­weise kauften drei Kasseler Archi­tekten – Keivan Karampour, Thomas Meyer und Marc Köhler – das vernach­läs­sigte Gebäude und hinter­fragten die Notwen­dig­keit des Abrisses. Es stellte sich heraus, dass die Konstruk­tion nur dann nicht mehr trägt, wenn sie weiterhin Chlor ausge­setzt ist, andern­falls könne sie erhalten bleiben.

Heute ist das Schwimmbad umgebaut und seit mehreren Jahren in Betrieb. Im Kopfbau, wo früher die Umkleiden und Verwal­tungs­zimmer waren, sitzen mehrere Arzt­praxen und ein Inge­nieur­büro. Die ehemalige Schwimm­halle wird als Veran­stal­tungs­raum genutzt, wobei eine einge­zo­gene Beton­decke das einstige Schwimm­be­cken in eine Event­fläche verwan­delt hat. Zudem wurden in dem Gebäude Büroräume für das planende Archi­tek­tur­büro KM Archi­tekten geschaffen, die als drei­ge­schos­sige Holz­kon­struk­tion ausge­führt wurden. Diese werden vom Hauptraum nur durch eine dünne Glashaut abge­trennt. Ein hoher Holz­quader, der als verbin­dendes Element zwischen den beiden Sphären dient, enthält einen Bespre­chungs­raum.

KM Archi­tekten, Umbau Hallenbad Ost, Kassel, Foto: KM Archi­tekten

Die Nutzung des Hallen­raums als Event­lo­ca­tion ergab sich laut Architekt Marc Köhler erst im Verlauf des Projekts: „Das Konzept hatten wir nicht von Anfang an, sondern erst als klar wurde, dass der Raum in dieser Form ‚übrig bleibt‘.“ Inzwi­schen hat der Hauptraum bereits zahl­reiche Kultur­ver­an­stal­tungen beher­bergt, darunter eine große Ausstel­lung des indo­ne­si­schen Kollek­tivs Taring Padi im Rahmen der documenta fifteen, die seiner­zeit für große Aufmerk­sam­keit sorgte. Auch einige Konzerte fanden hier statt, bei denen dem Raum eine exzel­lente Akustik beschei­nigt wurde – ein Aspekt, den Marc Köhler jedoch als reines Zufalls­pro­dukt bezeichnet.

Dass die Betreiber hier mit großem Enga­ge­ment (hoch)kulturelle Nutzungen – teils auch zu redu­zierten Kondi­tionen – ermög­li­chen, ist ihnen hoch anzu­rechnen. Doch als privates Projekt sind ihnen natur­gemäß finan­zi­elle Grenzen gesetzt. Es bleibt eine Heraus­for­de­rung, eine Balance zwischen wirt­schaft­li­cher Trag­fä­hig­keit und einem Beitrag für die Stadt­ge­sell­schaft zu finden – zumal die Nied­rig­schwel­lig­keit und Inklu­si­vität des Angebots nur bedingt im Einfluss­be­reich der Betreiber liegt. Sollte das Gebäude eines Tages in die Hände weniger enga­gierter Eigen­tümer übergehen, könnte der gemein­wohl­ori­en­tierte Ansatz womöglich komplett verloren gehen.

Öffent­lich­keit im Hotelpool

cpm archi­tekten, Stadtbad Oder­berger Straße, Berlin, Foto: cpm archi­tekten

Ein seltenes Beispiel, bei dem trotz privater Besitzer und erwei­tertem Nutzungs­kon­zept die Schwimm­nut­zung erhalten bleiben konnte, ist das Stadtbad Oder­berger Straße in Berlin-Prenz­lauer Berg. Auch dieses Gebäude prägt das Stadtbild und ist keine reine Zweckim­mo­bilie – wie die vorhe­rigen Beispiele gezeigt haben dürften, ist dies oft ein entschei­dender Faktor, wenn es darum geht, Personen oder Initia­tiven zu finden, die sich für den Erhalt und die Weiter­ent­wick­lung solcher Orte enga­gieren. Nach der Schlie­ßung kurz vor der Wende wurde das Gebäude zunächst von einer Genos­sen­schaft und später von der Stiftung Denk­mal­schutz Berlin gekauft. Schließ­lich erwarb es die neben­lie­gende GLS Sprach­schule, die den Bau in ein Hotel trans­for­mierte – jedoch unter der Auflage, dass die öffent­liche Nutzung des Bads wieder aufge­nommen wird. Das nach heutigen Maßstäben recht kleine Schwimm­be­cken steht sowohl den Hotel­gästen zur Verfügung, kann aber auch von externen Personen genutzt werden. Aufgrund der gedie­genen Atmo­sphäre und des Preises, der mit neun Euro für zwei Stunden deutlich über dem der öffent­li­chen Bäder­be­triebe liegt, fühlen sich hier aber womöglich nicht alle ange­spro­chen. Bemer­kens­wert ist, dass das Becken durch einen Hubboden komplett nivel­liert werden kann, sodass der Raum auch als klas­si­scher Veran­stal­tungs­saal genutzt und vermietet werden kann – jedoch nur an den Wochen­enden, sodass an den Wochen­tagen die Schwimm­nut­zung weiterhin garan­tiert bleibt.

cpm archi­tekten, Stadtbad Oder­berger Straße, Berlin, Foto: cpm archi­tekten

Wech­sel­nut­zung im Freibad

Als Kontrast­pro­gramm zum gehobenen Ambiente des Oder­berger Stadtbads gelten die städ­ti­schen Freibäder. Sie werden oft in beson­derem Maße als Orte der kultu­rellen und sozialen Vielfalt wahr­ge­nommen, wobei hier wiederum – im Gegensatz zum Oder­berger Stadtbad – ein hoch­ver­mö­gendes Publikum eher selten anzu­treffen ist. Erstaun­li­cher­weise ist jedoch gerade bei den Frei­bä­dern ein besonders starker Rückgang der Besu­cher­zahlen zu verzeichnen. Das liegt laut Christian Kuhn von der Deutschen Gesell­schaft für das Badewesen vor allem an der gestie­genen Menge an Alter­na­tiven für die Frei­zeit­ge­stal­tung, die Zahl der Frei­bad­gänger habe sich dadurch in den letzten 30 Jahren halbiert.

Auch wenn einige Freibäder weiterhin ausrei­chend Zulauf haben, sind sie im Jahr nur für wenige Monate geöffnet und stehen den größten Teil des Jahres – in Berlin sind es beispiels­weise rund 8,5 Monate – leer. Aus dieser, ange­sichts von Flächen­mangel und fehlenden Frei­flä­chen, etwas paradoxen Situation haben vier junge Archi­tek­tur­schaf­fende aus Berlin über mögliche Konzepte zur saiso­nalen Wech­sel­nut­zung von Frei­bä­dern nach­ge­dacht und die Initia­tive „Pool Poten­tials“ ins Leben gerufen. Im Prin­zenbad in Berlin-Kreuzberg haben sie für ein Pilot­pro­jekt nach weiteren Nutzungs­po­ten­tialen gesucht. Die Heraus­for­de­rung dabei: Auch die Wech­sel­nut­zungen in der Zeit von Herbst bis Frühling sollten für ähnliche hete­ro­gene Ziel­gruppen konzi­piert werden und diesen barrie­rearm zugäng­lich sein.

Nach einem ersten öffent­li­chen Ideen­aufruf, in dem die Frage gestellt wurde, welche Nutzungen sich die Menschen vor Ort wünschen, wurde 2023 eine koope­ra­tive Work­shop­reihe veran­staltet – mit Vertre­te­rinnen und Vertre­tern aus Politik, Stadt­pla­nung, der Nach­bar­schaft, der Bäder­be­leg­schaft und den Besu­chenden. Das daraus entwi­ckelte Konzept umfasst Angebote wie Kiezsport, Kinder- und Jugend­ar­beit sowie Indi­vi­du­al­sport. Darüber hinaus sind Orte der Begegnung vorge­sehen, wie ein Nach­bar­schafts­markt, eine Werkstatt, ein Kiosk mit Feuer­stelle sowie eine (Tri-)Bühne für Kultur­ver­an­stal­tungen. In der frost­freien Periode soll die Bade­nut­zung ausge­weitet und durch mobile Sauna­ka­binen ergänzt werden.

Sommerbad Wuhlheide im Winter, Berlin, Foto: Pool Poten­tials

Natürlich stellt sich auch hier die Frage, ob und wie das Ganze umsetzbar und finan­zierbar ist. Wie Marina Sylla von Pool Poten­tials erklärt, besteht eine Heraus­for­de­rung darin, dass die Bäder­be­triebe der Senats­ver­wal­tung für Inneres und Sport unter­stehen. Diese ist ausschließ­lich dafür zuständig, sport­liche Angebote zu finan­zieren. Alle anderen Nutzungen müssten daher aus anderen Quellen finan­ziert werden. Dennoch sieht Marina Sylla Fort­schritte: „Die Forderung, dass ressort­über­grei­fend gedacht und gear­beitet werden sollte, rückt in Berlin immer mehr in den Fokus – insbe­son­dere, weil auch die Mehr­fach­nut­zung anderer Gebäude zunehmend zur Diskus­sion steht.“

Sommerbad am Insulaner im Winter, Berlin, Foto: Pool Poten­tials

Dennoch scheint die Suche nach umsetz­baren Angeboten, die tatsäch­lich so attraktiv und inte­grativ sind wie die Sommer­bäder, nicht ganz einfach. „Eine Eislauf­bahn könnte wahr­schein­lich ähnlich viele zusam­men­bringen wie das Schwimmbad“, so Marina Sylla. Diese auf den Wasser­flä­chen umzu­setzen, sei zwar theo­re­tisch reali­sierbar (in den Bagni Miste­riosi in Mailand wird diese saisonale Wech­sel­nut­zung bereits seit einigen Jahren prak­ti­ziert), aber mit größerem tech­ni­schem und baulichem Aufwand verbunden. Auch Hilfs­an­ge­bote für Obdach­lose – Duschen und Unter­künfte – wären (ohne Sanie­rungs­maß­nahmen) nur bedingt im Herbst und Frühling möglich, da die Sani­tär­an­lagen nicht winter­fest und beheizbar sind. Einfacher zu reali­sieren ist da die Öffnung der Wiesen­flä­chen für Sport­gruppen sowie Kinder- und Jugend­ar­beit. Hier sei eine enge Ansprache der Ziel­gruppen sowie eine gewisse Anlauf­zeit notwendig, damit diese Angebote tatsäch­lich auch ange­nommen werden. Wie es weiter­geht mit den „Pool Poten­tials“ ist noch offen, ein erster Erfolg ist jedoch, dass einige Freibäder in Berlin die jährliche Öffnungs­pe­riode mitt­ler­weile ausge­dehnt haben.

Sommerbad Mari­en­dorf im Winter, Berlin, Foto: Pool Poten­tials

Potential und Ausblick

Wenn Freibäder aber trotzdem schließen müssen – momentan eher ein Phänomen in kleineren Städten und Gemeinden –, sieht Marina Sylla dennoch einen Grund zur Hoffnung: „Die Tribünen und Becken haben eine extrem starke Wirkung und Anziehung auf die Menschen – sie spielten in vielen Ideen der Umnutzung eine wichtige Rolle. Wenn sie nicht zum Schwimmen genutzt werden, können sie weiterhin großes räum­li­ches Potential besitzen. Unser Ansatz ist jedoch, dass Freibäder durch eine saisonale Wech­sel­nut­zung ganz­jährig attraktiv bleiben, worin wir auch eine Chance sehen, sie vor der Schlie­ßung zu bewahren“.

Christian Kuhn von der Deutschen Gesell­schaft für das Badewesen weist auf einen Aspekt hin, der der Relevanz von Frei- und Hallen­bä­dern in Zukunft durchaus wieder einen Schub verleihen könnte. Denn mit den zu erwar­tenden Tempe­ra­tur­an­stiegen durch den Klima­wandel könnten sie eine wichtige Funktion als Orte der Abkühlung in den Städten über­nehmen.

Eine weitere Entwick­lung könnte zwar nicht den Sanie­rungs­stau lösen, aber den Betrieb von Bädern erleich­tern: die wachsende Menge an Rechen­zen­tren. Die Kühlung der Server ist – analog zur Heizung im Schwimmbad – der Haupt­en­er­gie­fresser in Rechen­zen­tren, die Nutzung des Schwimm­bad­was­sers zu Kühlung wäre demnach ein symbio­ti­sches Konzept, das mitt­ler­weile sogar in einigen Pilot­pro­jekten erprobt wird. Beispiels­weise hat im südwest­eng­li­schen Exmouth ein Start-up einen Groß­com­puter in einem Schwimmbad unter­ge­bracht, und trägt damit einen erheb­li­chen Teil zur Erwärmung des Pools bei. Ein viel­ver­spre­chender Ansatz, den auch Christian Kuhn von der Deutschen Gesell­schaft für das Badewesen als zukunfts­wei­send betrachtet: „Die kommunale Wärme­pla­nung ist eine der großen Heraus­for­de­rungen unserer Zeit. Ich bin überzeugt, dass wir künftig anders planen und dabei verstärkt kommunale Wärme­quellen nutzen werden – nicht nur Rechen­zen­tren, sondern beispiels­weise auch Müll­ver­bren­nungs­an­lagen.“ Die Debatte über die Zukunft der Schwimm­bäder ist also noch längst nicht abge­schlossen. Viel­leicht liegt in Konzepten wie diesen eine Chance, das kultu­relle Erbe und die gesell­schaft­liche Funktion dieser Orte zu bewahren.

Elina Potratz studierte Kunst- und Bild­ge­schichte in Leipzig und Berlin. Seit 2016 ist sie tätig in der Redaktion dieser Zeit­schrift, seit 2021 als Chef­re­dak­teurin.

  1. Matthias Oloew: Schwimm­bäder. 200 Jahre Archi­tek­tur­ge­schichte des öffent­li­chen Bades. Berlin 2019. ↩︎
  2. Matthias Oloew in: „Das Freibad als demo­kra­ti­scher Ort: Wahr oder Folklore?“, WDR 3 Kultur am Mittag vom 23.8.2024 ↩︎
  3. Oloew 2019. ↩︎
Rurbane Reali­täten, Stadtbad Phase 0, Lucken­walde, Foto: Rurbane Reali­täten
KM Archi­tekten, Umbau Hallenbad Ost, Kassel, Foto: KM Archi­tekten
KM-Archi­tekten, Hallenbad Ost 2021
KM Archi­tekten, Umbau Hallenbad Ost, Kassel, Foto: KM Archi­tekten
cpm archi­tekten, Stadtbad Oder­berger Straße, Berlin, Foto: cpm archi­tekten
cpm archi­tekten, Stadtbad Oder­berger Straße, Berlin, Foto: cpm archi­tekten
Sommerbad Wuhlheide im Winter, Berlin, Foto: Pool Poten­tials
Sommerbad am Insulaner im Winter, Berlin, Foto: Pool Poten­tials
Sommerbad Mari­en­dorf im Winter, Berlin, Foto: Pool Poten­tials