Die Welt im Netz

Bericht vom 23. Berliner Gespräch

Am ersten Dezem­ber­samstag 2018 fand wieder das tradi­tio­nelle Berliner Gespräch im Deutschen Archi­tektur Zentrum DAZ statt. Neben dem BDA-Präsi­denten Heiner Farwick und dem Chef­re­dak­teur von der architekt, Andreas Denk, beleuch­teten sechs geladene Refe­ren­tinnen und Refe­renten das Thema „Die Welt im Netz. Zur Digi­ta­li­sie­rung des Lebens, der Stadt und der Häuser“.

Heiner Farwick, Foto: Till Budde

Was mit Digi­ta­li­sie­rung sicher nicht gemeint ist, nannte Heiner Farwick ganz zu Beginn: ein Kühl­schrank, der selbst­tätig Vorräte aus dem Internet nach­be­stellt. „Woher soll der auch wissen, was ich essen möchte?“ Solche Features wurden dem stau­nenden Publikum vor zehn, fünfzehn Jahren als Fort­schritt verkauft, inzwi­schen gelten sie eher als Karikatur einer unkri­ti­schen, affir­ma­tiven Sicht auf die globale Vernet­zung, die im Zweifel den Inter­essen inter­na­tio­naler Digi­tal­kon­zernen nütze, „die zu welt­be­herr­schenden Super­un­ter­nehmen wachsen“, so Farwick. Aber was ist denn mit Digi­ta­li­sie­rung wirklich gemeint? Die Frage nach einer Defi­ni­tion dieses allge­gen­wär­tigen Begriffs zog sich wie ein roter Faden durch das gesamte Berliner Gespräch.

Beim Digi­talrat der Bundes­re­gie­rung und im Koali­ti­ons­ver­trag der Großen Koalition wurde Farwick jeden­falls nicht fündig, er entdeckte dort haupt­säch­lich Tauto­lo­gien wie „Digi­ta­li­sie­rung ist die digitale Moder­ni­sie­rung“. Befremd­lich, dass der Regierung sogar die Förderung von „E‑Games“ ein Anliegen sei, worauf aller­dings erwidert wurde, dass die Gaming-Branche zu den führenden tech­no­lo­gi­schen Vorrei­tern der Künst­li­chen Intel­li­genz zähle.

Andreas Denk konsta­tierte eine Verun­si­che­rung vieler Menschen ange­sichts des Endes „der Welt, wie wir sie kannten“ (Buchtitel von Leggewie/​Welzer). Globa­li­sie­rung, Klima­wandel und Migration stellten für Viele unsere gewohnten Lebens­ver­hält­nisse in Frage. Besonders für Arbeit­nehmer mit „Low Skills“ bedeute der kommende Ersatz durch Maschinen eine reale Gefahr – erst recht in der nächsten Stufe der Entwick­lung, wenn die am mensch­li­chen Verstand geschulte Künst­liche Intel­li­genz viele Aufgaben übernimmt. Letztlich sei es die Frage, ob sich die Gesell­schaft weiter desin­te­griere, oder ob die sozialen Bindungs­kräfte stark genug seien, dies zu verhin­dern. Um es vorweg­zu­nehmen: Eine einzige, gültige Antwort darauf konnte und wollte das Berliner Gespräch nicht geben.

Dirk Baecker, Foto: Till Budde

Einen fulmi­nanten Parforce­ritt durch sozio­lo­gi­sche Begriff­lich­keiten unternahm dann Dirk Baecker von der Univer­sität Witten/​Herdecke. „Mensch“ sei ja fast schon eine nost­al­gi­sche Vokabel geworden, dennoch bedeute die Einfüh­rung des Computers keinen solchen Epochen­bruch, wie ihn die Einfüh­rung der Elek­tri­zität hervor­ge­rufen habe. Den Computer stellte er gleich­wohl in die Reihe kommu­ni­ka­tiver Errun­gen­schaften der Mensch­heit wie Sprache, Schrift und Buchdruck. Kritik aller durch jeden mache eine moderne Gesell­schaft aus; in sozialen Commu­ni­ties der digitalen Welt sah Baecker aller­dings die Gefahren des Popu­lismus, denn Trolle hätten dort die Möglich­keit, radikal zu stören. Baecker empfahl schließ­lich, die Herr­schaft über die eigenen Daten zurück­zu­ge­winnen, indem man seine Algo­rithmen trainiert: „Damit du nicht plötzlich mit Garten­bau­kunst konfron­tiert wirst, wenn du Bauin­ge­nieur bist“. Auch Baustaats­se­kretär Gunther Adler aus dem Bundes­in­nen­mi­nis­te­rium forderte aus dem Publikum heraus, Daten­ho­heit zurück­zu­ge­winnen, um Lebens­qua­lität zu erhöhen und sich nicht zu Daten­ob­jekten zu machen.

Silke Franke von der Hanns Seidel-Stiftung in München erdete dann die Sozio­lo­gen­sicht durch eine Abwägung zwischen digitaler und analoger Welt: „Social Media ist heute das, was im Dorf das Ratschen auf dem Sonnen­ban­kerl vor dem Haus war.“ Sie berich­tete minutiös über die Bemü­hungen in Bayern zur Über­win­dung der Gegen­sätze zwischen Stadt und Land zwecks Schaffung gleich­wer­tiger Lebens­ver­hält­nisse in digi­ta­li­sierten Zeiten. Manches davon wie GPS-geführte Wande­rungen auf den Spuren alten Liedguts oder das Nutztier-Paten­pro­gramm „Kuh for you“, mit dem die Milch zum Städter gebracht wird, klang aller­dings ein wenig treu­herzig.

Peter Jaku­bowski, Foto: Till Budde

Überhaupt die Städte: „Smart Cities brauchen Leit­planken, Offenheit und Stra­te­gie­kom­pe­tenzen“, war das Leitmotiv von Peter Jaku­bowski vom Bundes­in­stitut für Bau‑, Stadt- und Raum­for­schung (BBSR) in Bonn. Smart Cities, die nach­hal­tiger, inte­grierter Stadt­ent­wick­lung verpflichtet sind, bräuchten Leit­planken, um Böses von sich fern­zu­halten. Damit Städte zu Akteuren der Digi­ta­li­sie­rung werden, müssten Beschleu­ni­gungs­fallen in den kommu­nalen Verwal­tungen erkannt und Hürden abgebaut werden: „Digi­ta­li­sie­rung ist kein Selbst­zweck, sondern Werkzeug!“

Zwei Stimmen aus der Hoch­schul­aus­bil­dung gaben dann Einblicke in Szenarien digital geplanter und herge­stellter Archi­tektur. Sigrid Brell-Cokcan vom Lehrstuhl für Indi­vi­dua­li­sierte Baupro­duk­tion an der RWTH Aachen zeigte unter dem Titel „Wie Digi­ta­li­sie­rung die Baustelle verändert“ Projekte von und mit Studie­renden. Bei der Sky-Factory in den Nieder­landen, einer Plat­ten­bau­sa­nie­rung, schlägt eine Studentin vor, die Fabrik zum Gebäude zu bringen. „Unsere Studie­renden kaufen sich anstelle eines Autos einen Indus­trie­ro­boter!“ Mit der Asso­cia­tion for Robots in Archi­tec­ture sollen sich in Zukunft zwanzig- bis drei­ßig­tau­send Studie­rende vernetzen, die mit Indus­trie­ro­botik in Berührung gekommen sind. Und: „Wir brauchen keine Angst vor Daten­kraken zu haben. Wir machen unsere Algo­rithmen selber“. Ihre Software machen die Aachener frei zugäng­lich.

Marco Hemmer­ling, Foto: Till Budde

Auch Marco Hemmer­ling von der TH Köln sieht uns „Auf dem Weg zu einer infor­mierten Archi­tektur“ – so der Unter­titel seines Vortrags. Mit Berichten aus Büro und Lehre, unter anderem vom Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart, forderte er, den Archi­tekten wieder ins Zentrum des Dreiecks aus Entwurf, Herstel­lung und Betrieb des Gebäudes zu stellen: „Bei der Frage, ob man Sklave oder Herr der Maschine sein will, gibt es nur eine Option: Die Digi­ta­li­sie­rung ist eine Riesen­chance für Archi­tekten, Stellung zu beziehen!“

Fast ein Schluss­wort, wäre nicht noch der Archi­tek­tur­pu­bli­zist Christian Holl von frei04 publi­zistik in Stuttgart aufge­treten. In einem argu­men­ta­tiven, kriti­schen Stakkato bewegte er sich von der Abschaf­fung der Bürger­rechte im Netz ausge­rechnet durch eine liberale Partei über BIM und die bei Stuttgart 21 aufge­kom­mene digitale Betei­li­gungs­kultur hin zum Planungs­werk­zeug Computer, der es erlaube, Prozesse zu steuern, ohne schon ein festes Bild vom Gebäude zu haben.

Christian Holl, Foto: Till Budde

Chancen der Digi­ta­li­sie­rung also, die Holl mit dem Beispiel des genos­sen­schaft­li­chen Wohn­pro­jekts WagnisArt in München illus­trierte, bei dem erst sehr spät fest­ge­standen habe, wie das Gebäude aussieht. Letztlich erleich­tere und forciere die Digi­ta­li­sie­rung eine Entwick­lung, die bereits in der Vergan­gen­heit angelegt war, zog Holl ein vermit­telndes Resümee. Denn: „Es liegt eine Gefahr darin, die Poten­ziale der Technik nicht zu nutzen!“

 

Benedikt Hotze

Ausge­wählte und ergänzte Beiträge des 23. Berliner Gesprächs des BDA lesen Sie in der architekt 1/19. Das Heft „Die Welt im Netz. Zur Digi­ta­li­sie­rung des Lebens, der Stadt und der Häuser“ erscheint am 22. Februar 2019.

Heiner Farwick, Foto: Till Budde
Dirk Baecker, Foto: Till Budde
Peter Jaku­bowski, Foto: Till Budde
Marco Hemmer­ling, Foto: Till Budde
Christian Holl, Foto: Till Budde