Baukultur braucht Demo­kratie

Elina Potratz im Interview mit Juliane Naumann vom ZfBK

Juliane Naumann, Foto: Till Schuster

Elina Potratz: Frau Naumann, Sie leiten das ZfBK – Zentrum für Baukultur Sachsen, mit Sitz im Kultur­pa­last Dresden. Nach der Wahl in Ihrem Bundes­land Anfang September hat nun eine in Teilen rechts­extreme Partei 40 von 120 Sitzen im Landtag. Für wie politisch aufge­laden halten Sie derzeit Themen der Archi­tektur in Sachsen?

Juliane Naumann: Ich denke, entschei­dend ist die Formu­lie­rung: politisch aufge­laden. Denn wir sagen zwar immer, dass Archi­tektur und Städtebau politisch sind, und das stimmt natürlich auch, aber die poli­ti­sche Aufladung ist letztlich das, was dazu führt, dass Themen nicht mehr disku­tiert oder verhan­delt werden – weil sie aus der einen oder der anderen Richtung als No-Go, als inak­zep­tabel, klas­si­fi­ziert werden. Dabei sind die Themen und Diskus­sionen in Sachsen vermut­lich ähnlich wie in anderen Bundes­län­dern: Es geht unter anderem darum, ob und wie die histo­ri­sche Stadt wieder­auf­ge­baut und in welcher Gestalt sie weiter­ent­wi­ckelt werden soll. Es geht um die Frage, wie viel Platz wir welcher Nutzung im öffent­li­chen Raum einräumen. Es geht um die Frage, wie viel Grün wir uns in der Stadt leisten wollen und ob dies als Wert oder vorrangig als Ausgabe gesehen wird. Diese Frage­stel­lungen sind allge­meiner Natur und betreffen unser aller Lebens­qua­lität. Wie sie verhan­delt werden, hängt letztlich von der jewei­ligen Kommune und ihrer Stadt­ge­sell­schaft ab.

Sehen Sie also die Poli­ti­sie­rung von baukul­tu­rellen Themen als Hindernis an?

Wir hatten vor Kurzem ein Gespräch mit Kollegen über Stadt­ent­wick­lungs­pro­jekte in Dänemark, die ja bekannt sind für progres­sive, nach­hal­tige, aus unserer Sicht durchaus mutige Ansätze. Wir haben uns gefragt, wie man es dort schafft, diese Projekte umzu­setzen. Eine Antwort darauf, die mich wirklich bewegt hat, lautete: Die Themen sind nicht so politisch konno­tiert, soll heißen: Alle wollen eine lebens­werte Umwelt, alle wollen gut wohnen, alle wollen, dass Dinge schön aussehen, alle wollen Aufent­halts­qua­lität im öffent­li­chen Raum, alle möchten den Kindern und Enkeln ein gutes Leben in einem lebens­werten Wohn­um­feld ermög­li­chen. Deswegen wird wohl in Dänemark über diese Themen weniger im Grundsatz gestritten. Ich frage mich seit diesem Gespräch, ob wir mit der Baukultur mögli­cher­weise einen Hebel haben, um gemein­same Nenner zu finden in unserer Gesell­schaft. Das geht einher mit dem Ziel, Menschen, die sich bislang scheinbar nicht für Baukultur, Archi­tektur oder nach­hal­tige Infra­struktur inter­es­sieren, für diese Themen zu sensi­bi­li­sieren. Gleich­zeitig wirft dieser Ansatz die Frage auf: Gibt es Posi­tionen, die wir nicht akzep­tieren können und werden? Wie sieht der Dialog dann aus? Das ist eine Frage, die mich sehr beschäf­tigt. Denn an manchen Punkten habe ich noch keine abschlie­ßende Antwort darauf gefunden.

Gerade Themen, die als „grün“ gelten, haben womöglich beson­deres Potenzial, poli­ti­sche Pola­ri­sie­rungen zu triggern. Versuchen Sie, diese so aufzu­be­reiten, dass Sie nicht von vorn­herein auf zu große Vorein­ge­nom­men­heit treffen?

Wir versuchen grund­sätz­lich, Themen so zu behandeln, dass eine möglichst breite Öffent­lich­keit Zugang dazu finden kann. Unsere Angebote sind nieder­schwellig, Fach­ter­mini werden vermieden. Ich glaube, es gelingt uns recht gut, dadurch mit der breiten Bevöl­ke­rung ins Gespräch zu kommen. Das Thema „Natür­liche Baustoffe aus der Region“ beispiels­weise hat enorm großes Interesse gefunden – weil es materiell im Sinne von greifbar war und viele Menschen damit etwas verbinden konnten. Auch mit der Sensi­bi­li­sie­rung für Denkmale und deren Nach­nut­zung erreichen wir eine sehr breite Bevöl­ke­rungs­gruppe. Kultur braucht die breite Gesell­schaft. Aber Baukultur ist auch Prozess­kultur und braucht eben unbedingt auch Demo­kratie. Und die Räume, die wir als lebens­wert bezeichnen, sollen für eine viel­fäl­tige, frei­heit­liche, demo­kra­ti­sche Gesell­schaft geschaffen sein.

Da sich unsere Ausgabe um Infra­struktur dreht: Wie bewerten Sie den kürz­li­chen Einsturz der Dresdner Caro­l­ab­rücke?

Das ist natürlich ein Warn­schuss und ein Zeichen dafür, dass es an vielen Stellen in den Kommunen Rückstau in der Unter­hal­tung von Infra­struktur gibt. Das ist den Kommunen auch bewusst, aber die Kapa­zi­täten und Mittel fehlen. Und ganz ehrlich: Im poli­ti­schen Raum ist es attrak­tiver, irgend­etwas neu zu bauen als viel Geld für den Unterhalt von Bestehendem auszu­geben. Entwick­lung und Fort­schritt wird zwangs­läufig immer mit Neubau und Inves­ti­tionen in noch mehr Infra­struktur in Verbin­dung gebracht. Mein Eindruck ist aber auch, dass sich das Verständnis, dass Zukunfts­fä­hig­keit auch etwas mit Sorge um den Bestand, mit Instand­hal­tung und Reparatur zu tun hat, ganz langsam kenntlich macht. Da liegt aller­dings noch ein langer, aber notwen­diger Weg vor uns.

Juliane Naumann, Foto: Till Schuster