Eigen­logik der Infra­struktur

Zusam­men­hänge neu denken und gestalten

Infra­struk­turen gelten als Matrix der Zivi­li­sa­tion; für ihren Erhalt und Ausbau werden weltweit die größten Inves­ti­tionen getätigt und Rekord­summen aufge­rufen. So werden im Jahr 2050 weltweit rund 15 Billionen Euro allein für den Erhalt und Ausbau der Basis­in­fra­struktur ausge­geben werden. Inves­tiert wird vor allem in die Bereiche Energie, Transport, Wasser und Digi­ta­li­sie­rung – der Gesund­heits­sektor hinkt oft hinterher. Annette Rudolph-Cleff, Profes­sorin am Fach­ge­biet Entwerfen und Stadt­ent­wick­lung der TU Darmstadt, beschreibt, dass es jedoch um mehr geht als die Grund­ver­sor­gung: Die enormen Inves­ti­tionen in die Infra­struktur sind mit Zielen der Stand­ort­si­che­rung verbunden und sollen die Weichen für die Zukunft stellen.

Vor mehr als zwanzig Jahren haben Steve Graham und Simon Marvin mit „Splin­te­ring Urbanism“ eine neue Perspek­tive auf die Wech­sel­wir­kungen, Abhän­gig­keiten und Inter­de­pen­denzen von Stadt- und Infra­struk­tur­ent­wick­lung eröffnet.1 Unter Infra­struk­turen werden alle tech­ni­schen Elemente verstanden, die „die Mobilität und den Austausch von Menschen, Gütern und Ideen (…) ermög­li­chen.“2 Infra­struk­turen sind somit auch als sozio­tech­ni­sche Systeme zu verstehen, da mit ihnen Praktiken und Vorstel­lungen von Zukunft und Gesell­schaft verbunden sind.Graham, M. (2001): Splin­te­ring Urbanism, London 2001. ↩︎V. Laak (2018): Alles im Fluss. Die Lebens­adern unserer Gesell­schaft. Geschichte und Zukunft der Infra­struktur, Frankfurt a.M., S. 13. ↩︎

Die Dekar­bo­ni­sie­rung und der Ausbau der erneu­er­baren Energien sind Teil der euro­päi­schen Trans­for­ma­ti­ons­agenda und zielen auf eine nach­hal­tige Gestal­tung der Energie- und Verkehrs­in­fra­struk­turen ab. Ange­sichts der zuneh­menden Bedeutung ökolo­gi­scher Kriterien und der Risiken der Kern­energie besteht die zentrale Heraus­for­de­rung darin, die notwen­digen Infra­struk­turen kosten­ef­fi­zient, sicher und nach­haltig bereit­zu­stellen. Bis 2030 könnte der Inves­ti­ti­ons­be­darf für den Umstieg auf CO2-arme Tech­no­lo­gien weltweit vier Billionen Euro erreichen. Doch trotz aller Inves­ti­tionen scheint der Infra­struk­tur­ausbau hinter den Zielen und Erwar­tungen zurück­zu­bleiben.

Zürich, Brunau, A3, 1998, Foto: Bild­ar­chiv ETH-Biblio­thek Zürich

Infra­struk­turen werden oft als „Garanten der Bestän­dig­keit“3 beschrieben, doch unter welchen Rahmen­be­din­gungen entwi­ckeln sie Verän­de­rungs- und Anpas­sungs­fä­hig­keit? Ihre Wand­lungs­fä­hig­keit ist trotz tech­no­lo­gi­scher Inno­va­tionen umstritten, denn die Verzah­nung, Kopplung und Über­la­ge­rung der einzelnen Infra­struk­tur­sys­teme, wie beispiels­weise Verkehr und Energie oder Wasser und Energie, sowie ihre enge Vernet­zung mit den Infor­ma­tions- und Kommu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gien zeigen syste­mi­sche Inter­de­pen­denzen. Dies führt zu paral­lelen Entwick­lungen von alten und neuen Tech­no­lo­gien. Damit verbunden ist die Frage nach der tief­grei­fenden Wand­lungs­fä­hig­keit von Infra­struk­tur­sys­temen, die sich ange­sichts des notwen­digen ökolo­gi­schen Umbaus unserer Ener­gie­ver­sor­gungs- und Verkehrs­sys­teme und ihres bishe­rigen Versagens immer drän­gender stellt. Wie verändern sich Infra­struk­turen unter sich wandelnden Rahmen­be­din­gungen? Wie tragen Infra­struk­turen zum urbanen Wandel bei?V. Laak, D. (2006): Garanten der Bestän­dig­keit. Infra­struk­turen als Inte­gra­ti­ons­me­dien des Raumes und der Zeit, in: Doering-Manteuffel, A. (Hg.): Struk­tur­merk­male der deutschen Geschichte des 20. Jahr­hun­derts, München, S. 167 – 180. ↩︎

Infra­struk­tur­ent­wick­lung in Deutsch­land

Die Zeichen für eine nach­hal­tige und klima­ge­rechte Trans­for­ma­tion der Infra­struk­turen in Deutsch­land stehen noch am Anfang, wie nicht zuletzt im „Baukul­tur­be­richt Infra­struk­turen 2024 / 25“ fest­ge­stellt und auf dem Konvent in Potsdam im Juni 2024 mit einem Schwer­punkt auf Mobilität und soziale Infra­struktur disku­tiert wurde.4 Die erfor­der­li­chen Inves­ti­tionen in den maroden Bestand über­steigen bei weitem die aufschei­nenden Zukunfts­bilder. Allen­falls die Entwick­lungen in der Klima­an­pas­sung und im Radver­kehr geben Anlass zur Hoffnung. Auf der Ebene der Städte und Kommunen zeigt sich im Kleinen ein großes Verständnis dafür, was sich in unseren Städten wieder­zu­er­obern lohnt: Die neue Lang­sam­keit auf Straßen, konse­quente Park­raum­be­wirt­schaf­tung, der Ausbau der Radin­fra­struktur und nicht zuletzt der Einsatz für natur­ba­sierte Lösungen verspre­chen neue Lebens­qua­lität und sichtbare Erfolge. Die Hoffnung auf den Umstieg von grauer auf grüne Infra­struktur keimt gerne auf.https://​www​.bundes​stif​tung​-baukultur​.de/​f​i​l​e​a​d​m​i​n​/​f​i​l​e​s​/​B​K​B​-​2​4​/​B​a​u​k​u​l​t​u​r​b​e​r​i​c​h​t​_​2​0​2​4​2​5​_​I​n​f​r​a​s​t​r​u​k​t​u​r​e​n​.​pdf ↩︎

Der Logis­tik­branche kommt bei der grünen Trans­for­ma­tion eine Schlüs­sel­rolle zu. Die Fokus­sie­rung auf E‑Mobilität verstellt den Blick auf alter­na­tive Antriebs­tech­no­lo­gien, die im Bereich der Nutz­fahr­zeuge, der Schiff­fahrt und der Luftfahrt Poten­ziale für CO2-Einspa­rungen bieten könnten. Eine Infra­struktur für den Einsatz von Wasser­stoff oder HVO (hydrierte Pflan­zenöle) als Ener­gie­träger im Stra­ßen­gü­ter­ver­kehr ist noch nicht in Sicht. So scheitert der Bau eines deutschen Flüs­siggas-Terminals seit Jahren an der fehlenden Wirt­schaft­lich­keit. Der Staat wird diese Infra­struk­tur­in­ves­ti­tion wohl begleiten müssen, wenn wir unsere Ener­gie­ver­sor­gung diver­si­fi­zieren wollen.5https://​www​.wiwo​.de/​p​o​l​i​t​i​k​/​d​e​u​t​s​c​h​l​a​n​d​/​w​i​r​t​s​c​h​a​f​t​s​s​t​a​n​d​o​r​t​-​a​c​h​t​-​s​t​e​l​l​s​c​h​r​a​u​b​e​n​-​u​m​-​d​e​n​-​w​o​h​l​s​t​a​n​d​-​i​n​-​d​e​u​t​s​c​h​l​a​n​d​-​z​u​-​s​i​c​h​e​r​n​/​2​9​7​4​3​2​7​6​.​h​tml ↩︎

Die Deutsche Bahn und ihre vieler­orts groß ange­legten Sanie­rungs­ar­beiten, um das vernach­läs­sigte Schie­nen­netz zu erneuern, bremsen den Zugver­kehr bundes­weit aus. Nur knapp 70 Prozent der Reisenden in Fernzügen kamen im letzten Jahr pünktlich an. Das Schie­nen­netz der DB ist mit rund 33.500 Kilo­me­tern das größte in Europa. Dass dieses Netz in den letzten zehn Jahren nur um 38 Kilometer gewachsen ist, wird mit Blick auf die Ziele der Verkehrs­wende (Verdop­pe­lung der Fahr­gast­zahlen bis 2030) als viel zu wenig kriti­siert.6 Die „Weichen­stel­lung für das Schie­nen­netz der Zukunft“ wird jedoch bereits von Plänen begleitet, das Angebot hinsicht­lich der Stre­cken­aus­las­tung zu opti­mieren und damit das Stre­cken­netz eher zu redu­zieren. Bis 2030 soll ein Hoch­leis­tungs­netz entstehen, 40 Milli­arden Euro will die Bundes­re­gie­rung dafür inves­tieren. Die Diskus­sion in Regie­rungs­kreisen, das Geld über eine Erhöhung des Eigen­ka­pi­tals durch den Verkauf der Bundes­be­tei­li­gungen an der Telekom und der Deutschen Post zu beschaffen, zeigt, wie Inves­ti­tionen innerhalb der Infra­struk­turen verschoben werden.https://​de​.statista​.com/​s​t​a​t​i​s​t​i​k​/​d​a​t​e​n​/​s​t​u​d​i​e​/​1​3​3​4​9​/​u​m​f​r​a​g​e​/​l​a​e​n​g​e​-​v​o​m​-​s​c​h​i​e​n​e​n​n​e​t​z​-​d​e​r​-​d​b​-​ag/ ↩︎

Kanal­brücke Magdeburg Nähe Hohen­warthe, Archi­tek­tur­büro Bernhard Winking, Inge­nieur­büro Grassl, 2002, Foto: Olivier Cleynen (CC BY 4.0)

Gebundene Subven­tionen

Der Bedarf an Infra­struk­tur­in­ves­ti­tionen wird in den kommenden Jahren weiter steigen, unter anderem aufgrund globaler Mega­trends wie Klima­wandel, Digi­ta­li­sie­rung, neue Mobi­li­täts­sys­teme und die Zunahme der städ­ti­schen Bevöl­ke­rung auf schät­zungs­weise fast zehn Milli­arden Menschen im Jahr 2050. Branchen wie die Metall­ver­ar­bei­tung, erneu­er­bare Energien und Infor­ma­tions- und Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gien verzeichnen eine stetig steigende Nachfrage aufgrund des welt­weiten Bedarfs an Infra­struk­tur­ver­bes­se­rungen. Um diese immensen Inves­ti­tionen zu stemmen, werden nicht nur staat­liche Mittel erfor­der­lich sein, sondern auch die breite Mobi­li­sie­rung privater Inves­toren. Die Unter­neh­mens­be­ra­tung McKinsey schätzt, dass bis 2030 weltweit 57 Billionen Dollar ausge­geben werden. Die Staaten können dies nicht allein finan­zieren, private Inves­toren müssen in öffent­lich-private Part­ner­schaften einge­bunden werden, um zum Beispiel die euro­päi­sche Trans­for­ma­tion zu ermög­li­chen.

Die fehlenden Mittel für die Bereit­stel­lung, Regu­lie­rung und Finan­zie­rung der Infra­struktur werden auf den globalen Finanz­märkten beschafft. Mit der Finanz- und Wirt­schafts­krise 2007 hat ein neuer Begriff Einzug gehalten, zuletzt im Zusam­men­hang mit den Rohstoff­märkten7: Finan­zia­li­sie­rung bezeichnet die Prozesse, die zu einem Bedeu­tungs­zu­wachs von Finanz­märkten, ‑motiven und ‑insti­tu­tionen in der Wirt­schaft beigetragen haben.8 Erst die Umwand­lung von Infra­struktur in eine „Anla­ge­klasse“ und die Ausschüt­tung von Gewinnen machen sie für private Inves­toren attraktiv. Nicht die Infra­struktur selbst, sondern die öffent­lich garan­tierten Einnahmen, beispiels­weise durch Maut­ge­bühren, Einnah­me­ströme oder hohe Nutzer­zahlen, sind für private Inves­toren von Interesse. Die Gewinne, die bei PPP-Garantien durch­schnitt­lich bei 15 bis 20 Prozent liegen, und die Schul­den­til­gung werden von den Staaten garan­tiert. Fallen die Maut­ein­nahmen geringer aus oder wird eine Anlage nicht genutzt, gleicht der Staat die Einnah­me­aus­fälle aus. Die privaten Inves­toren erhalten den Gewinn, während die öffent­liche Hand das Risiko trägt.Plank, L. (2014). Finan­zia­li­sie­rung & Infra­struktur. AK-Semi­nar­reihe „Euro­päi­sche Wirt­schafts­po­litik,” Wien, Austria. http://​hdl​.handle​.net/​2​0​.​5​0​0​.​1​2​7​0​8​/​1​0​5​586 ↩︎Epstein, G. A. (2005): Finan­cia­liza­tion and the World Economy, Chel­tenham UK, Nort­hampton, MA, USA. ↩︎

Die Finan­zia­li­sie­rung der Infra­struktur wurde und wird von einer Reihe von Insti­tu­tionen voran­ge­trieben wie der Weltbank und inter­na­tio­nalen Entwick­lungs­banken, bila­te­ralen Hilfs­or­ga­ni­sa­tionen, der Private-Equity-Branche und Hedge­fonds. Ein Bericht der Internen Evalu­ie­rungs­gruppe (IEG) der Weltbank aus dem Jahr 2014 fand wenig Belege für die Annahme, dass PPP-Projekte die Leis­tungs­fä­hig­keit verbes­sern. Die IEG konnte aufgrund fehlender Daten nicht beur­teilen, inwieweit PPPs den Armen zugu­te­kommen. Ange­sichts des Mandats der Weltbank, die Armut zu bekämpfen, ist das ein Armuts­zeugnis.9https://​www​.boell​.de/​d​e​/​2​0​1​9​/​1​2​/​1​6​/​w​e​r​-​p​r​i​v​a​t​-​d​i​e​-​i​n​f​r​a​s​t​r​u​k​t​u​r​-​i​n​v​e​s​t​i​e​r​t​-​w​i​l​l​-​g​e​w​i​n​n​e​-​m​a​c​hen (05.08.2024) ↩︎

Infra­struk­tu­relle Akze­le­ra­tion

Die räumliche Dimension dieses Geschäfts­mo­dells ist ebenfalls proble­ma­tisch, da durch die Konzen­tra­tion auf indus­tri­elle Korridore und Skalen­ef­fekte, das heißt Kosten­vor­teile durch nied­ri­gere Kosten pro Produkt, globale Liefer­ketten ihre eigene Logik zwischen Produk­tions- und Verbrauchs­stand­orten entfalten. In den Korri­doren konzen­trieren sich neue indus­tri­elle Cluster, die durch ein leis­tungs­fä­higes Verkehrs­system mitein­ander verbunden sind, um globale Liefer­ketten zu bedienen. Entlegene Rohstoff­quellen werden erst dann wirt­schaft­lich erschließbar, wenn größere und effi­zi­en­tere Schiffe, Lastwagen, Züge und Fracht­flug­zeuge die Trans­port­kosten senken. Dies erfordert größere Straßen und Brücken, tiefere und breitere Kanäle, größere Hafen­an­lagen und Start- und Lande­bahnen. Die Diskus­sion um Gigaliner und über­las­tete Brücken in Deutsch­land ist nur ein Beispiel dieser Entwick­lung. In Indien wird beispiels­weise derzeit daran gear­beitet, die Kapa­zi­täten der zwölf größten Häfen des Landes so zu erweitern, dass der Umschlag von Eisenerz und Kohle im nächsten Jahrzehnt um ein Viel­fa­ches gestei­gert werden kann.

Rappbode-Talsperre, Ansicht von Osten, Foto: Hahnenk­leer (Free Use)

Die Entwick­lung von fünf Korri­doren mit Smart Cities an den Knoten­punkten verändert die Wirt­schafts­geo­grafie grund­le­gend. Als Frei­han­dels­zonen werden diese Korridore billige Arbeits­kräfte, Verbrau­cher und Inves­ti­tionen anziehen. Der Plan sieht vor, spezi­fi­sche wirt­schaft­liche Akti­vi­täten auf bestimmte Korridore zu konzen­trieren, wodurch Märkte und Beschäf­ti­gungs­mög­lich­keiten zunehmend in die Städte und ihre Verbin­dungs­kor­ri­dore verlagert werden. Die damit verbun­denen Migra­ti­ons­wellen sind leicht vorstellbar. Nicholas Hildyard kriti­siert die Finan­zie­rung von Mega-Infra­struk­turen und die globale Infra­struk­tur­agenda als zutiefst unde­mo­kra­tisch. In seinem Buch „Lizen­zierter Diebstahl“10 setzt er sich kritisch mit öffent­lich-privaten Part­ner­schaften ausein­ander und warnt vor den Folgen der Umwelt­zer­stö­rung und den sozialen Auswir­kungen, die der Ausbau der Korridore mit sich bringt. „Die Antwort auf eine schlecht funk­tio­nie­rende, öffent­lich finan­zierte Infra­struktur besteht also darin, den Privat­sektor als Alter­na­tive zu betrachten. Das ist er aber nicht. Es geht darum, demo­kra­ti­sche Bewe­gungen zu stärken, um öffent­lich finan­zierte Projekte zu verbes­sern. Sie müssen mehr Verant­wor­tung dafür tragen, dass die Bedürfnisse aller, anstatt nur weniger, erfüllt werden.“11Hildyard, N. (2016); Licensed larcency: Infra­struc­ture, Financial extra­c­tion and the global South, Manchester. ↩︎Hildyard, N. im Interview mit Kloss, K. (2019) ↩︎

Mit der Größe der Infra­struk­tur­sys­teme und der Anzahl der Menschen, die von ihnen abhängen, steigt auch die Vulnerabi­lität. Die Infra­struk­turen Wasser, Verkehr, Energie und IKT werden als kritisch bezeichnet, weil sie im Krisen­fall für eine schnelle Wieder­her­stel­lung von entschei­dender Bedeutung sind. Kritische Infra­struk­turen sind aber auch selbst das Nerven­system unserer Städte, deren Ausfall ihre Funk­ti­ons­fä­hig­keit bedroht.

Mono­po­lis­ti­sche Main­ten­ance

Tech­no­lo­gie­transfer wird häufig als Voraus­set­zung für schnelle Entwick­lung, sozialen Wandel und Moder­nität in den Ländern des Südens gesehen.12 In diesem Zusam­men­hang ist auch ein Blick auf die Wartung und Instand­set­zung von Infra­struktur inter­es­sant. Hier finden sich häufig hybride Bezie­hungen zwischen privaten und öffent­li­chen Akteuren. Studien haben gezeigt, dass Tech­no­lo­gie­transfer ein hoch­kom­plexer Prozess ist, bei dem Tech­no­lo­gien aus ihrem bishe­rigen Umfeld in einen neuen Kontext mit anderen Praktiken, Wissens­be­ständen und insti­tu­tio­nellen Arran­ge­ments „re-terri­to­ri­a­li­siert“ werden müssen.13 Die in den Finan­zie­rungs­plänen der Geber fest­ge­schrie­bene verpflich­tende Übernahme auslän­di­scher Tech­no­lo­gien kann nur selten die lokalen Kapa­zi­täten für eine ange­mes­sene Wartung und Reparatur der Infra­struktur nutzen. Ohne den Aufbau lokaler Kapa­zi­täten können die trans­fe­rierten Tech­no­lo­gien in den Empfän­ger­län­dern jedoch nicht nach­haltig funk­tio­nieren. Die Verwund­bar­keiten nehmen weiter zu. Und spätes­tens hier sind wir weit entfernt von den Zielen der Euro­päi­schen Trans­for­ma­tion, und im Abseits von ökolo­gi­scher und sozialer Gerech­tig­keit. Die Poten­ziale für die zukünf­tigen Infra­struk­turen sind für die Wirt­schaft und die Gesell­schaft völlig unter­schied­lich einzu­schätzen.14Watson, V. (2014): Learning planning from the south: ideas from the new urban frontiers. In The Routledge handbook on cities of the global south, S. 120 – 130. ↩︎Monstadt, J., & Schramm, S. (2017). Toward the networked city? Trans­la­ting tech­no­lo­gical ideals and planning models in water and sani­ta­tion systems in Dar es Salaam. Inter­na­tional Journal of Urban and Regional Research, 41(1), S. 104 – 125. ↩︎Baus, U. (2024): Die Bauzau­ber­lehr­linge, marlowes 25.06.2024, https://​www​.marlowes​.de/​b​a​u​z​a​u​b​e​r​l​e​h​r​l​i​n​ge/ ↩︎

Zukunfts­wei­sende Infra­struk­turen

Rangier­bahnhof Nürnberg, Foto: Baye­ri­sche Vermes­sungs­ver­wal­tung (CC-BY‑4.0)

Das Ziel einer sicheren, inte­gra­tiven, resi­li­enten und nach­hal­tigen Entwick­lung steht außer Frage. Auf den Prüfstand zu stellen sind jedoch die gesell­schaft­li­chen Erwar­tungen an die kriti­schen Infra­struk­turen. Was als selbst­ver­ständ­liche Aufgabe der öffent­li­chen Hand verstanden wird, ist ange­sichts leerer Staats­kassen und über­for­derter Kommunen und Städte oft nicht mehr als Mangel­ver­wal­tung und weit entfernt von einer zukunfts­fä­higen Strategie der Infra­struk­tur­ent­wick­lung. Das Gegenbild zur Beschleu­ni­gung in immer größer werdende Infra­struk­turen ist durchaus verlo­ckend und spricht für sich: Dezen­trale und semi­zen­trale Konzepte in der Infra­struk­tur­ver­sor­gung, natur­ba­sierte Lösungen und Ökosys­tem­dienst­leis­tungen sowie blau-grüne Struk­turen zur Klima­an­pas­sung bieten ein buntes Bild, das viel Lebens­qua­lität verspricht. Dabei geht es um lokal­spe­zi­fi­sche Lösungen, die den sozio­kul­tu­rellen Anfor­de­rungen der Nutzer und den Umwelt­be­din­gungen vor Ort entspre­chen.

Die Unsi­cher­heit über zukünf­tige Risiken trifft auf die Erkenntnis, dass der Schutz der Umwelt und der Biodi­ver­sität Priorität haben muss, wenn wir eine lebens­werte Umwelt erhalten wollen. Regio­nales Ressour­cen­ma­nage­ment wird notwendig, wenn nach­hal­tiges Wirt­schaften gefordert ist. Verschie­dene Autoren sprechen von einem „soft path approach“15, der den harten Infra­struk­tur­lö­sungen folgen muss. Das Beispiel Chinas, das nach dem Bau der Mega-Infra­struktur des schwie­rigen South-North Water Diversion Project zum Vorreiter für Schwamm­stadt-Konzepte wurde, könnte diesen Wandel unter­strei­chen. Hier liegen Chancen für lokal-spezi­fi­sche Antworten und die Inte­gra­tion von natur­ba­sierten Lösungen. Und hier liegt auch die Chance für einen bewussten Umgang mit Ressourcen und die nach­hal­tige Trans­for­ma­tion unserer Städte.Gleick, P. (2003): Water use. Annual review of envi­ron­ment and resources, 28(1), S. 275 – 314. ↩︎

Doch auch diese Trans­for­ma­tionen haben ihren Preis. Die bestehenden Fiskal- und Lenkungs­funk­tionen als Steue­rungs­mög­lich­keiten im Sinne einer ganz­heit­li­chen Stadt­ent­wick­lung werden nicht ausrei­chen. Eine Abkehr vom bishe­rigen PPP-Geschäfts­mo­dell erfordert höhere Steuern und / oder Eigen­in­itia­tive und Krea­ti­vität: Die Elek­tri­zi­täts­werke Schönau (EWS)16 starteten 2009 als kleine Bürger­initia­tive und kämpfen als bürger­ei­gene Energie-Genos­sen­schaft mit heute über 13.000 Mitglie­dern für „Bürger­en­ergie“ und eine nach­hal­tige Ener­gie­zu­kunft.https://​www​.ews​-schoenau​.de/​e​w​s​/​g​e​n​o​s​s​e​n​s​c​h​a​ft/ (05.08.2024) ↩︎

Die Prozesse und Mecha­nismen der Infra­struk­tur­ent­wick­lung und Instand­hal­tung folgen nicht nur einer abstrakten ökono­mi­schen Ratio­na­lität und der Theorie der Ressour­cen­mo­bi­li­sie­rung, sondern werden auch entschei­dend von gesell­schafts­po­li­ti­schen Diskursen, insti­tu­tio­nellen Rahmen­be­din­gungen und lokalem Wissen bestimmt. Gemein­same Ziele für den nach­hal­tigen Umbau unserer Städte und ihrer Infra­struk­turen sowie die Legi­ti­ma­tion dieser kollek­tiven Ziele sind daher von zentraler Bedeutung. Das Neudenken und die Gestal­tung unserer Infra­struk­turen liegen in unserem Interesse. Infra­struktur ist eine zentrale Gestal­tungs­auf­gabe, die unsere Lebens­welten unmit­telbar betrifft.

Prof. Dr.-Ing. Annette Rudolph-Cleff leitet das Fach­ge­biet Entwerfen und Stadt­ent­wick­lung der TU Darmstadt. Sie ist zum Thema kritische Infra­struk­turen aktiv im Planungs­gre­mium des inter­na­tio­nalen Wett­be­werbs Designing Resi­li­ence, im DFG-Gradu­ier­ten­kolleg Kritis und im LOEWE-Zentrum emer­gen­City. Sie ist Mitglied des Redak­ti­ons­bei­rats dieser Zeit­schrift. Für die Recherche zum Thema Finan­zia­li­sie­rung hatte sie Unter­stüt­zung von Theresa Jeroch.

  1. Graham, M. (2001): Splin­te­ring Urbanism, London 2001. ↩︎
  2. V. Laak (2018): Alles im Fluss. Die Lebens­adern unserer Gesell­schaft. Geschichte und Zukunft der Infra­struktur, Frankfurt a.M., S. 13. ↩︎
  3. V. Laak, D. (2006): Garanten der Bestän­dig­keit. Infra­struk­turen als Inte­gra­ti­ons­me­dien des Raumes und der Zeit, in: Doering-Manteuffel, A. (Hg.): Struk­tur­merk­male der deutschen Geschichte des 20. Jahr­hun­derts, München, S. 167 – 180. ↩︎
  4. https://​www​.bundes​stif​tung​-baukultur​.de/​f​i​l​e​a​d​m​i​n​/​f​i​l​e​s​/​B​K​B​-​2​4​/​B​a​u​k​u​l​t​u​r​b​e​r​i​c​h​t​_​2​0​2​4​2​5​_​I​n​f​r​a​s​t​r​u​k​t​u​r​e​n​.​pdf ↩︎
  5. https://​www​.wiwo​.de/​p​o​l​i​t​i​k​/​d​e​u​t​s​c​h​l​a​n​d​/​w​i​r​t​s​c​h​a​f​t​s​s​t​a​n​d​o​r​t​-​a​c​h​t​-​s​t​e​l​l​s​c​h​r​a​u​b​e​n​-​u​m​-​d​e​n​-​w​o​h​l​s​t​a​n​d​-​i​n​-​d​e​u​t​s​c​h​l​a​n​d​-​z​u​-​s​i​c​h​e​r​n​/​2​9​7​4​3​2​7​6​.​h​tml ↩︎
  6. https://​de​.statista​.com/​s​t​a​t​i​s​t​i​k​/​d​a​t​e​n​/​s​t​u​d​i​e​/​1​3​3​4​9​/​u​m​f​r​a​g​e​/​l​a​e​n​g​e​-​v​o​m​-​s​c​h​i​e​n​e​n​n​e​t​z​-​d​e​r​-​d​b​-​ag/ ↩︎
  7. Plank, L. (2014). Finan­zia­li­sie­rung & Infra­struktur. AK-Semi­nar­reihe „Euro­päi­sche Wirt­schafts­po­litik,” Wien, Austria. http://​hdl​.handle​.net/​2​0​.​5​0​0​.​1​2​7​0​8​/​1​0​5​586 ↩︎
  8. Epstein, G. A. (2005): Finan­cia­liza­tion and the World Economy, Chel­tenham UK, Nort­hampton, MA, USA. ↩︎
  9. https://​www​.boell​.de/​d​e​/​2​0​1​9​/​1​2​/​1​6​/​w​e​r​-​p​r​i​v​a​t​-​d​i​e​-​i​n​f​r​a​s​t​r​u​k​t​u​r​-​i​n​v​e​s​t​i​e​r​t​-​w​i​l​l​-​g​e​w​i​n​n​e​-​m​a​c​hen (05.08.2024) ↩︎
  10. Hildyard, N. (2016); Licensed larcency: Infra­struc­ture, Financial extra­c­tion and the global South, Manchester. ↩︎
  11. Hildyard, N. im Interview mit Kloss, K. (2019) ↩︎
  12. Watson, V. (2014): Learning planning from the south: ideas from the new urban frontiers. In The Routledge handbook on cities of the global south, S. 120 – 130. ↩︎
  13. Monstadt, J., & Schramm, S. (2017). Toward the networked city? Trans­la­ting tech­no­lo­gical ideals and planning models in water and sani­ta­tion systems in Dar es Salaam. Inter­na­tional Journal of Urban and Regional Research, 41(1), S. 104 – 125. ↩︎
  14. Baus, U. (2024): Die Bauzau­ber­lehr­linge, marlowes 25.06.2024, https://​www​.marlowes​.de/​b​a​u​z​a​u​b​e​r​l​e​h​r​l​i​n​ge/ ↩︎
  15. Gleick, P. (2003): Water use. Annual review of envi­ron­ment and resources, 28(1), S. 275 – 314. ↩︎
  16. https://​www​.ews​-schoenau​.de/​e​w​s​/​g​e​n​o​s​s​e​n​s​c​h​a​ft/ (05.08.2024) ↩︎
Zürich, Brunau, A3, 1998, Foto: Bild­ar­chiv ETH-Biblio­thek Zürich
Kanal­brücke Magdeburg Nähe Hohen­warthe, Archi­tek­tur­büro Bernhard Winking, Inge­nieur­büro Grassl, 2002, Foto: Olivier Cleynen (CC BY 4.0)
Rappbode-Talsperre, Ansicht von Osten, Foto: Hahnenk­leer (Free Use)
Rangier­bahnhof Nürnberg, Foto: Baye­ri­sche Vermes­sungs­ver­wal­tung (CC-BY‑4.0)