Im Stadt­garten

Spazier­gänge mit Heiner Farwick

Ein warmer Sommertag in Dortmund: Der Präsident des BDA, Heiner Farwick, und Andreas Denk, der Chef­re­dak­teur dieser Zeit­schrift, ergehen sich in der südlichen City der West­fa­len­me­tro­pole. Hier, wo nächst dem Stadthaus aus den 1950er Jahren früher ein nur an den Rändern begrünter Markt- und Parkplatz lag, ist seit den 1980er Jahren ein städ­ti­scher Garten entstanden, der sich rund um die U‑Bahn-Halte­stelle von Eckhard Gerber aus dieser Zeit allmäh­lich zum Park entwi­ckelt hat. Ein guter Ort für das allfäl­lige Gespräch zwischen Farwick und Denk: Mitten im schat­ten­spen­denden Grün geht es um die Haltung des BDA zu soge­nannten „grauen“ Verfahren.

Andreas Denk: In den letzten Jahren wird das Thema „grauer“ Verfahren bei der Verga­be­praxis von Archi­tek­ten­leis­tungen immer wieder disku­tiert. Neben den durch die Archi­tek­ten­kam­mern regis­trierten Wett­be­werben nach RPW und GRW und Verga­be­ver­fahren nach VgV scheint das Unter­laufen von Rege­lungen und Standards durch unge­re­gelte Planungs­werk­stätten, Workshops oder Mode­ra­ti­ons­ver­fahren, Ausschrei­bungen für „Ideen“ oder „Gutachten“ ein billiges Mittel, um Archi­tek­ten­leis­tungen unter Preis zu bekommen. In einigen Länder­kam­mern wurde das Problem bereits disku­tiert, nun hat der BDA einen entschie­denen Vorstoß zum Boykott solcher Verfahren unter­nommen…

Heiner Farwick: Dass der BDA ange­sichts der Zahl dieser grauen Verfahren mit einem Boykott­aufruf eindeutig Stellung bezieht, ist sicher­lich an der Zeit. Tatsäch­lich scheinen immer noch viele Wett­be­werbs­teil­nehmer nicht recht zu wissen, dass sie schon mit ihrer Teilnahme solche halb- bis unse­riösen Verfahren ermög­li­chen und unter­stützen.

Andreas Denk: Zahl und Varianz solcher Verfahren haben sich offenbar vermehrt…

Heiner Farwick: Das ist genau der Grund, warum sich der BDA zu diesem Zeitpunkt äußert. Einer­seits ist es klar, dass wir für den Wett­be­werb eintreten – und insbe­son­dere für den offenen Wett­be­werb. Der Wett­be­werb unter­liegt klaren Regeln. Diese Regeln schützen die Archi­tekten vor einer Über­for­de­rung und Über­las­tung durch den Auslober. Zugleich bilden sie die wesent­li­chen Säulen, die einen fairen Vergleich zwischen einzelnen Lösungen für Bauauf­gaben ermög­li­chen. Dafür braucht man trans­pa­rente Verfahren. Zu den wich­tigsten Säulen des Wett­be­werbs­we­sens gehören: die Anony­mität, weil es in Wett­be­werben nur um die Qualität der Lösungen geht, die Preis­ge­richte, die unsere Arbeiten fachlich beur­teilen und das Auftrags­ver­spre­chen. Neben den Wett­be­werben gibt es reguläre Verga­be­ver­fahren, die in der Verga­be­ver­ord­nung (VgV) geregelt sind. Und es gibt natürlich für jeden Bauherrn die Möglich­keit, im Rahmen einer Mehr­fach­be­auf­tra­gung drei, vier oder mehr Büros mit der gleichen Aufga­ben­stel­lung zu beauf­tragen, um so die beste Lösung auswählen zu können. Diese Optionen und deren Prin­zi­pien haben sich seit Jahr­zehnten bewährt.

Foto: Andreas Denk
Foto: Andreas Denk

Andreas Denk: Offenbar schätzen das nicht alle Auslober und nicht alle Archi­tekten so ein…

Heiner Farwick: …die Verläss­lich­keit eines Verfah­rens ist auch für den Auslober wichtig: Er ist schließ­lich gehalten, sich im Rahmen eines gere­gelten Verfah­rens über die Aufga­ben­stel­lung klar zu werden und sein Anfor­de­rungs­profil zu schärfen. Das ist eine wichtige Voraus­set­zung, um später zu einem erfolg­rei­chen Abschluss eines Baupro­jekts zu kommen. Viele Projekte scheitern daran, dass eigent­lich nicht von Anfang an klar ist, wie die Bauauf­gabe definiert ist und welches Ergebnis der Bauherr am Ende erwartet.

Andreas Denk: Inzwi­schen sind viele dieser einst­ma­ligen Gewiss­heiten über Bord gegangen. Glauben Sie, dass es möglich ist, solche verlo­ren­ge­gan­genen Usancen wieder­zu­ge­winnen? Kann man die Uhr zurück­drehen?

Heiner Farwick: Die Uhr zurück­drehen trifft es nicht. Ich glaube, im Sinne aller Betei­ligten ist es notwendig, sich auf die besten Verfahren zu besinnen. Wenn wir sehen, dass die gere­gelten Verfahren für Auftrag­geber und Archi­tekten die besseren Verfahren sind, ist es nicht einzu­sehen, warum man sich an solchen Verfahren betei­ligen sollte, die diese Kriterien nicht erfüllen. Oft sind solche Ausschrei­bungen nur Test­bal­lons, bei denen die Frage nach der Reali­sie­rung offen­bleibt. Häufig scheitern die Verfahren daran, dass sich im weiteren Verlauf heraus­stellt, dass die Anfor­de­rungen ganz anders sind als zunächst ange­nommen. Mitunter dienen Verfahren auch nur zur Inwert­set­zung von Grund­stü­cken, ohne dass ein Auftrags­ver­spre­chen für den Archi­tekten damit verbunden ist. Wir alle wissen von solchen Verfahren, die alles andere als gelungen sind. Deshalb spricht die Forderung nach gere­gelten Verfahren nicht nur für Archi­tekten oder Stadt­planer, sondern auch für die Auslo­ber­seite.

Andreas Denk: Wie stellen Sie sich diese Besin­nungs­leis­tung vor?

Heiner Farwick: Die meisten Verfahren laufen gut und regelhaft. Es ist notwendig, ein Bewusst­sein für diese Qualität zu schaffen. Mögli­cher­weise ist der eine oder andere unter unseren Kollegen sich gar nicht darüber im Klaren, dass er sich gerade in einem nicht oder nicht mehr gere­gelten Verfahren bewegt. Insofern steckt hinter seiner Teilnahme nicht böse Absicht, sondern mangelnde Reflexion. Deshalb glauben wir, dass eine Bewusst­ma­chung gerade jetzt zur rechten Zeit kommt: Der kritische Blick auf die Ausschrei­bungs­un­ter­lagen unter­bleibt viel zu oft.

Andreas Denk: Was erwarten Sie, was erwartet der BDA von Archi­tekten, wenn sie merken, dass sie an einem nicht gere­gelten Verfahren beteiligt sind?

Heiner Farwick: Der erste Schritt muss sein – eventuell in Abstim­mung mit den anderen ange­fragten Büros –, den Auslober darauf hinzu­weisen, dass man als Architekt schon aus berufs­recht­li­chen Gründen nur an quali­fi­zierten Verfahren teil­nehmen kann. Wenn der Auslober nicht bereit ist, darauf einzu­gehen, hat er wahr­schein­lich seine Gründe. Dann muss man natürlich besonders skeptisch sein und unter Umständen auf die Teilnahme an einem solchen Verfahren verzichten. Auch sollten dann die Archi­tek­ten­kam­mern prüfen, ob ein solches Verfahren gerügt werden muss.

Andreas Denk: Aber was nützt es, wenn nur ein oder zwei poten­ti­elle Teil­nehmer ihren Rückzug aus formalen und mora­li­schen Gründen erklären, der Rest der Kolle­gen­schaft aber „am Ball bleibt“?

Heiner Farwick: Dafür sind wir im BDA so soli­da­risch mitein­ander, dass wir solche Fälle mitein­ander bespre­chen können, uns unter den Kollegen abstimmen und dann einheit­lich aufstehen. Wenn fünf, sechs oder sieben Büros zu einem Verfahren aufge­for­dert werden, das nicht in Ordnung ist, und alle dem Auslober verdeut­li­chen, dass sie unter solchen Umständen aus guten Gründen nicht mitmachen, wäre es doch außer­or­dent­lich irri­tie­rend, wenn man sich als einziger nicht dagegen ausspre­chen würde. Da muss man so konse­quent sein, „Nein“ zu sagen.

Andreas Denk: Setzt der BDA hier mehr auf Soli­da­rität oder soziale Kontrolle?

Heiner Farwick: Von BDA-Kollegen dürfen wir erwarten, dass sie auch aus Soli­da­rität handeln. Viel­leicht muss man hier und da auch das Mittel der sozialen Kontrolle einsetzen, indem man den oder die Betref­fenden noch einmal darauf hinweist, wo eigent­lich Parameter und Grund­sätze, aber auch Grenzen von ordent­li­chen Verfahren sind. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir am Ende uns und die Auslober sich selbst schaden, wenn wir gute Grund­sätze unter­mi­nieren.

Andreas Denk: Es stellt sich immer wieder die Frage, wenn es um den BDA geht, nach einem Verhal­tens­kodex, den man sich frei­willig anzu­eignen hat, wenn man die Grund­sätze des Bundes ernst nimmt. Müsste man die Grenze der überhaupt für BDA-Mitglieder zuläs­sigen Verfahren nicht noch enger ziehen?

Heiner Farwick: Im Grunde müsste es reichen, wenn die Archi­tek­ten­kam­mern den Wett­be­werb regis­triert und damit attes­tieren, dass es sich um ein ordnungs­ge­mäßes Verfahren handelt. Dann darf und muss ich als Architekt davon ausgehen, dass die Teilnahme sowohl als Preis­richter wie als Teil­nehmer in Ordnung ist. Damit haben wir eine Ebene, die eine Extra-Zerti­fi­zie­rung erübrigt. Nur müssen wir diese Kenn­zeich­nung beachten. Wir geben sonst Standards auf, deren Verlust wir nur schwer wieder auffüllen können. Handelt es sich nicht um ein Wett­be­werbs­ver­fahren, sondern um eine Mehr­fach­be­auf­tra­gung, so ist ohnehin klar, wie es funk­tio­nieren muss: Die Vorpla­nung ist nach HOAI zu vergüten. Auch in der VgV ist in § 77 die Vergütung geregelt.

Andreas Denk: Was wird der BDA tun, um seine Initia­tive stärker in die Öffent­lich­keit zu bringen?

Heiner Farwick: Wett­be­werbe sind eine Domäne der BDA-Archi­tekten und wir sollten uns unserer positiven Einfluss­mög­lich­keiten auf die Quali­fi­zie­rung von Verga­be­ver­fahren bewusst sein, was übrigens ganz besonders für die betreu­enden Büros und Preis­richter gilt. Es geht auch nicht darum, einzelne Kollegen bloß­zu­stellen. Vielmehr wollen wir vor allem das Bewusst­sein innerhalb der Kolle­gen­schaft schärfen, um zu besseren Verfahren zu kommen. Und eine bessere Verfah­rens­kultur ist eine bessere Grundlage für die Qualität des Bauens. Das müssen wir immer wieder betonen, auch wenn es sich um eine Selbst­ver­ständ­lich­keit handelt.

Der Aufruf zum Boykott grauer Wett­be­werbs- und Verga­be­ver­fahren durch Archi­tekten BDA „Auf unsere Haltung kommt es an!“ in der architekt 4/17 auf S. 78.

Foto: Andreas Denk
Foto: Andreas Denk