Kompli­zen­schaft als Mitein­ander

Andreas Haase, complizen Archi­tektur / Studio Neue Museen

Ein Interview per Video­kon­fe­renz kann zwar nicht die Atmo­sphäre und Stimmung einer persön­li­chen Begegnung trans­por­tieren, dennoch muss man dank moderner Medien nicht auf jeglichen Kontext außerhalb des gespro­chenen Worts verzichten. So zeigt Inter­view­partner Andreas Haase zunächst einige Handy­vi­deos seines Arbeits­um­felds. Auf seinem Rundgang erkunden wir dabei den Büro­standort – eine Grün­der­zeit­villa im Hallenser Quartier Giebi­chen­stein –, die Teeküche im Keller sowie den Hühner­stall im Garten. So einge­führt widmen wir uns der Geschichte und den Projekten, die unter anderem an diesem beschau­li­chen Ort ihren Ursprung nehmen.

complizen Architektur, Anbau Kindergarten Riesenklein, Halle (Saale) 2015, Foto: Eduardo Novo
complizen Archi­tektur, Anbau Kinder­garten Riesen­k­lein, Halle (Saale) 2015, Foto: Eduardo Novo

Elina Potratz: Sie haben sich vor 25 Jahren in Halle an der Saale nieder­ge­lassen; wie kam es zu der Entschei­dung?
Andreas Haase: In Halle bin ich geboren und aufge­wachsen, das hört man viel­leicht nicht, weil sich durch mein Studium in Wien ein leichter Slang einge­schli­chen hat. Ich bin eigent­lich wieder hier gelandet, da ich die Sprache der Leute halbwegs spreche und hier die ersten Projekte herum­lun­gerten. Und dann bin ich mehr oder weniger hier hängen­ge­blieben. Vor 15 Jahren haben wir wahn­sinnig Glück gehabt, diesen tollen Büro­standort zu finden. Damals gab es viel Potenzial, also Platz in der Stadt, da waren wir sozusagen „Shrinking Cities“-Gewinnler.

Was waren das für erste Aufträge?
Das waren eher kleine Projekte im privaten Bereich, wie das Kino „Zazie“, das von einer Freundin als kommu­nales Kino betrieben wurde. Darunter waren auch viele schöne kleine Projekte, aber die Auskömm­lich­keit war desaströs. Ich habe damals eher von den Honoraren meiner Frau gelebt, die Kostüm­bild­nerin ist.

complizen Architektur, Anbau Kindergarten Riesenklein, Halle (Saale) 2015, Foto: Eduardo Novo
complizen Archi­tektur, Anbau Kinder­garten Riesen­k­lein, Halle (Saale) 2015, Foto: Eduardo Novo

Zu Ihrem Spektrum gehört ja mitt­ler­weile nicht nur die Archi­tektur, sondern auch Ausstel­lungs­ge­stal­tung. Wie kam es dazu?
Anfang der 2000er war es als junger Architekt ohne Erfahrung extrem schwierig und fast unmöglich, Projekte zu akqui­rieren, auch aufgrund der damaligen Konjunk­tur­delle. Und das auch noch in Ostdeutsch­land, wo das Geld sowieso knapp war. Das hat aber dazu geführt, dass wir ziemlich viele Wett­be­werbe gemacht haben und durch Tore Dobber­stein, meinen Büro­partner, haben wir uns letztlich den Themen zugewandt, die damals in Ostdeutsch­land virulent waren – Stadt­ent­wick­lung, Stadt­umbau, „Shrinking Cities“. Neben der Ausstel­lung der IBA Stadt­umbau in Sachsen-Anhalt, für die Tore Kommu­ni­ka­ti­ons­maß­nahmen begleitet hat, waren wir auch an der Ausstel­lung „Shrinking Cities“ beteiligt. Bei der Ausstel­lung „Spor­ti­fi­ca­tion“ im Palast der Republik sind wir dann zum ers­ten Mal mit der Berliner Kommunikations­agentur anschlaege​.de in Kontakt gekommen, mit der wir seit einigen Jahren als „Studio Neue Museen“ Ausstel­lungen gestalten.

Wie ist die Gewich­tung der Tätig­keits­be­reiche?
Mitt­ler­weile machen wir fast 70 bis 80 Prozent Ausstel­lungs­ge­stal­tungen. Wo es passt und wo wir können, bear­beiten wir aber auch Wett­be­werbe zu Museen. Denn nicht nur aus der Archi­tektur, sondern auch aus der Ausstel­lungs­ge­stal­tung kommend, haben wir ein relativ gutes Verständnis gewonnen, was und wie Museum ist und funk­tio­niert. Da sehe ich im Moment den Kern unserer Arbeit.

complizen Architektur, Kreisgrabenanlage Zackmünde, Wettbewerbsbeitrag 2014 (2. Platz), Abb.: complizen
complizen Archi­tektur, Kreis­gra­ben­an­lage Zackmünde, Wett­be­werbs­bei­trag 2014 (2. Platz), Abb.: complizen

Wie unter­scheidet sich die Arbeit des Archi­tekten von der des Ausstel­lungs­ge­stal­ters?
Ja, wenn Sie mir erklären können, was genau die Arbeit des Archi­tekten ist (lacht)… Letztlich sind die Prozesse dieselben – von den Abläufen, vom Gestaltungs­impetus, von den Prozessen, wie was zu gestalten ist. Ich glaube, da gibt es keine riesigen Unter­schiede. Großartig an Ausstel­lungs­ge­stal­tungen sind die Vielfalt und Band­breite der Themen: von Luther über das Thema „Freund­schaft“ bis zur Über­ar­bei­tung der Ausstel­lung „Sexua­li­täten“ im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden.

Studio Neue Museen / molekyl Büro für Gestaltung, „Ich bin ein Mansfeldisch Kind“, Luthers Elternhaus, 2014, Foto: SNM
Studio Neue Museen / molekyl Büro für Gestal­tung, „Ich bin ein Mans­fel­disch Kind“, Luthers Eltern­haus, 2014, Foto: SNM

Wie tief steigen Sie mit Ihrem Team in die Themen ein? Wie stark ist man am Konzept beteiligt?
Das ist unter­schied­lich. Im letzten Jahr ist die Stadt Eisleben auf uns zuge­kommen und hat gesagt: „Wir machen hier seit 30 Jahren Stadt­entwicklung und wollen unseren Einwoh­nern einmal zeigen, was wir erreicht haben. Wir haben aber keine Ahnung, was wir machen sollen“. Also haben wir ihnen vom Konzept bis zur Umsetzung und Texten alles gemacht. Bei der Über­ar­bei­tung im Deutschen Hygiene-Museum dagegen gibt es eine feste Vitri­nen­ab­folge und die Gestal­tungs­spiel­räume sind extrem eng. Das ist immer sehr unter­schied­lich, aber es ist auch großartig, dass man unter­schied­liche Inhalte im Hirn kneten muss und man einen Wissens­zu­wachs hat, der Spaß macht.

Wie sieht es mit der Umsetzung der Ausstel­lungen aus? Lagern Sie die meis­tens aus?
Auch das ist verschieden. Inter­es­sant ist dabei, wie die Komple­xität der Aufgaben zuge­nommen hat: Vor 25 Jahren waren es noch maßgeb­lich Kommu­ni­ka­ti­ons­de­si­gner oder Grafik­de­si­gner, die Ausstel­lungen gemacht haben. Vor 15 Jahren sind die Archi­tekten dazu­ge­kommen, weil man räumliche Insze­nie­rungen gemacht hat. Dann ist die Vermitt­lung mit den ganzen digitalen Tools hinzu­ge­kommen. Inzwi­schen ist das eine Komple­xität, vom Haus­planer bis zum Elek­tro­planer bis zum Statiker und Licht­planer, von den Gewerken her ähnlich wie bei Gebäuden.

Ist Ihr Team auch so divers?
Ja, das ist es. Das fängt schon bei meinem Partner Tore Dobber­stein an, der mit zwei Mitar­bei­te­rinnen in Berlin sitzt. Er ist Diplom-Kaufmann und beschäf­tigt sich maßgeb­lich mit Stadt­ent­wick­lungs­themen und betreut in Berlin Mode­ra­ti­ons­pro­zesse. Unsere Mitar­bei­te­rinnen und Mitar­beiter kommen aus den Bereichen Design, Innen­ar­chi­tektur, Kommu­ni­ka­ti­ons­de­sign und Szen­o­grafie.

Wie gehen Sie als Architekt damit um, dass Ihre Schöp­fungen – also Ihre Ausstel­lungen – so vergäng­lich sind?
Das habe ich bei der Archi­tektur genauso erlebt. Da bin ich eigent­lich schmerz­frei. Mitt­ler­weile beschäf­tigt uns eher, dass wir Sonder­aus­stel­lungen machen, in die erheb­liche Budgets einfließen, die aber eine Halb­werts­zeit von drei bis sieben Monaten haben und danach im Container landen. Das ist inzwi­schen ein größeres Thema.

Studio Neue Museen, „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“, Augusteum Wittenberg, 2015, Fotos: Thomas Bruns
Studio Neue Museen, „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“, Augusteum Witten­berg, 2015, Fotos: Thomas Bruns

Welche Konse­quenzen ziehen Sie aus den drän­genden Nach­hal­tig­keits­fragen?
Wir hatten jetzt bei einem Projekt-Pitch für die IBA Heidel­berg den Ansatz, dass wir den Raum mit Objekten bespielen wollen, die man der Stadt wieder zurück­geben kann. Zum Beispiel ist eine Schule beteiligt, deshalb versuchen wir, Ausstel­lungs­mo­dule aus Klei­der­spinden zu bauen, damit sie danach in die Schule zurück­wan­dern können. Die Frage des Reuse und der Nach­hal­tig­keit wird extrem wichtig und für uns stellt sich die Frage: Was kann man uns für die Ausstel­lungs­zeit an „Hardware“ zur Verfügung stellen, das nachher weiter verwendet werden kann?

Lassen sich Erkennt­nisse aus den Ausstel­lungs­ge­stal­tungen in die Archi­tek­tur­pro­jekte über­tragen?
Gestal­tung ist so ein breites Feld, das ist ein direkter Fluss. Ich will jetzt auch nicht behaupten, dass man, wenn man Ausstel­lungen gestalten kann, auto­ma­tisch Archi­tektur oder Städte gestalten kann. Aber Gestal­tung ist auch eine Art zu denken – das, was man „reinlässt“, in das, was man tut. Ich denke, es ist mehr ein Erfah­rungs­um­gang, der in der Archi­tektur genauso anwendbar ist.

Was hat es mit dem Büronamen auf sich? In „complizen“ steckt ja die verschwo­rene Gemein­schaft, aber auch eine krimi­nelle Kompo­nente.
Wir versuchen immer, Projekte – und das machen wir in der Ausstel­lungs­ge­stal­tung genauso – hoch­gradig koope­rativ und gemein­schaft­lich zu entwi­ckeln. Das braucht viel Zeit, aber führt in der Gemein­schaft zu anderen Ergeb­nissen. Das ist auch nicht wahn­sinnig innovativ, aber das Bewusst­sein des Mitein­an­ders ist uns sehr wichtig.

Studio Neue Museen / Studio Sophie Jahnke, „Wie Wissen wächst“, Botanischer Garten Berlin, 2019, Foto: Falk Wenzel
Studio Neue Museen / Studio Sophie Jahnke, „Wie Wissen wächst“, Bota­ni­scher Garten Berlin, 2019, Foto: Falk Wenzel

Was Ihre Aufgaben und Büro­struktur angeht – haben Sie da noch weitere Ziele?
In Coro­na­zeiten habe ich gedacht, dass jetzt wahr­schein­lich maßgeb­lich im Kultur­be­reich gespart werden wird. Da habe ich ein bisschen Panik bekommen und geglaubt, dass man die Dinge etwas kleiner hält und runter­fährt. Lusti­ger­weise ist das völlige Gegenteil passiert: Wir haben sehr viele Sachen auf dem Tisch. Mögli­cher­weise hängt das damit zusammen, dass beim Shutdown alles zusam­men­ge­halten wurde und jetzt raus­ge­hauen wird. Wir haben keine Strategie, wie wir uns entwi­ckeln wollen – das ist ein Auf und Ab. Wir haben so eine komische Zwischen­größe, wo man nicht so ganz weiß, wo es hingeht. Aber mit dem, was wir machen, fühle ich mich sehr wohl.

www​.complizen​.de
www​.studio​neu​e​mu​seen​.com

Bis zum 14. März 2021 ist eine Werk­schau­pro­jek­tion von complizen Archi­tektur an der Fassade des DAZ-Glashaus zu sehen.

Aktuelle Infor­ma­tionen zur Fort­füh­rung der Talk-Reihe „neu im club im DAZ“ finden sich online unter:
www​.daz​.de

www​.neuimclub​.de

Medi­en­partner: www​.marlowes​.de
neu im club wird unter­stützt von Erfurt und Heinze sowie den BDA-Partnern

complizen Architektur, Anbau Kindergarten Riesenklein, Halle (Saale) 2015, Foto: Eduardo Novo
complizen Archi­tektur, Anbau Kinder­garten Riesen­k­lein, Halle (Saale) 2015, Foto: Eduardo Novo
complizen Architektur, Anbau Kindergarten Riesenklein, Halle (Saale) 2015, Foto: Eduardo Novo
complizen Archi­tektur, Anbau Kinder­garten Riesen­k­lein, Halle (Saale) 2015, Foto: Eduardo Novo
complizen Architektur, Kreisgrabenanlage Zackmünde, Wettbewerbsbeitrag 2014 (2. Platz), Abb.: complizen
complizen Archi­tektur, Kreis­gra­ben­an­lage Zackmünde, Wett­be­werbs­bei­trag 2014 (2. Platz), Abb.: complizen
Studio Neue Museen / molekyl Büro für Gestaltung, „Ich bin ein Mansfeldisch Kind“, Luthers Elternhaus, 2014, Foto: SNM
Studio Neue Museen / molekyl Büro für Gestal­tung, „Ich bin ein Mans­fel­disch Kind“, Luthers Eltern­haus, 2014, Foto: SNM
Studio Neue Museen, „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“, Augusteum Wittenberg, 2015, Fotos: Thomas Bruns
Studio Neue Museen, „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“, Augusteum Witten­berg, 2015, Fotos: Thomas Bruns
Studio Neue Museen / Studio Sophie Jahnke, „Wie Wissen wächst“, Botanischer Garten Berlin, 2019, Foto: Falk Wenzel
Studio Neue Museen / Studio Sophie Jahnke, „Wie Wissen wächst“, Bota­ni­scher Garten Berlin, 2019, Foto: Falk Wenzel