Original und Fälschung

Andreas Hild und Andreas Denk im Gespräch

Zur Neube­grün­dung des Authen­ti­schen in der Archi­tektur

Andreas Hild: Denk­mal­pfleger und Archi­tekten verwenden den Begriff „Authen­ti­zität“ immer so, als sei völlig klar, was damit gemeint ist: Sie asso­zi­ieren „Authen­ti­zität“ im denk­mal­pfle­ge­ri­schen und archi­tek­to­ni­schen Raum mit „Echtheit“ und „Dauer­haf­tig­keit“. Dabei ist es auffällig, dass der aktuelle Diskurs, der den Begriff weiter klären könnte, an anderer Stelle statt­findet und eine komple­xere Vorstel­lung von Authen­ti­zität in den Mittel­punkt rückt als die fast naive Begriff­lich­keit, die sich Archi­tekten und Denk­mal­pfleger im allge­meinen davon machen.

Andreas Denk: Das passiert mit anderen grund­sätz­li­chen Begriffen in der Archi­tektur ähnlich. Wie würden Sie den gegen­wär­tigen Diskus­si­ons­stand des „authen­ti­schen“ beschreiben?

Andreas Hild: Das Wort kommt aus dem Grie­chi­schen: „αùθεντικός“ heißt „echt“. Das grund­sätz­liche Konzept beschreibt, was Authen­ti­zität ausmacht: Es bezeichnet eine kritische Qualität von dem, was wir wahr­nehmen. Manches nehmen wir als „echt“ wahr, anderes erweist sich als Täuschung oder Fälschung. „Authen­tisch“ heißt etwas dann, wenn Schein und Sein in unserer Wahr­neh­mung zusam­men­fallen. Die Frage ist nun, ob das, was authen­tisch ist, etwas ist, das der Materie innewohnt, was ihr inhärent ist, oder ob es ihr lediglich zuge­schrieben wird. Dass das Authen­ti­sche ein Teil der Materie ist, kann man im Prinzip ausschließen, weil man erklären müsste, wie das Authen­ti­sche in die Materie hinein­kommt. Auch die Vorstel­lung der Zuschrei­bung ist schwierig aufrecht zu erhalten, weil sie letztlich dazu führt, dass man zum Beispiel dem einen Material Authen­ti­zität zuschreibt, einem anderen wiederum nicht. Dabei stellt sich die Frage, welche Gründe heran­ge­zogen werden, um einem Material Authen­ti­zität beizu­messen – und vor allem, wer das tut. Am einfachsten kann man Authen­ti­zität erklären, wenn man akzep­tiert, dass etwas dann authen­tisch ist, wenn es für authen­tisch gehalten wird. Das führt zu dem Paradoxon, dass – etwa auf den Menschen über­tragen – der am authen­tischsten ist, der am über­zeu­gendsten spielt. Diese Denkfigur geht mit der Art und Weise, wie wir den Begriff benutzen wollen, nicht recht zusammen.

Andreas Denk: Welche Begrün­dung von Authen­ti­zität verfolgt in Ihrer Wahr­neh­mung die Denk­mal­pflege heute?

Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Foto: Michael Heinrich
Hild und K Archi­tekten,
Gast­stätte Donisl, München 2013 – 2015, Foto: Michael Heinrich

Andreas Hild: Im weiteren Sinne ist hier immer noch die Charta von Venedig sinn­stif­tend. Es geht um einen nicht genau defi­nier­baren Zustand zwischen Dauer­haf­tig­keit – also die Idee von „dauern“, eine Mate­ri­al­zu­schrei­bung, dass es sozusagen dauerhaft ist – und der Idee, dass etwas als „echt“ im Sinne eines Originals bezeichnet werden kann. Der Begriff der Authen­ti­zität wird meistens benutzt, um etwas zu begründen, was sich sonst nicht anders vertreten, behaupten, begründen oder durch­setzen ließe. Deshalb ist der Begriff inzwi­schen eine Hülle geworden, deren Bedeutung und Funktion darauf beruht, dass alle ein unge­fähres Gefühl haben, um was es geht – und dass man es gut finden muss. Das heißt, es geht um das Gute, und das Wahre, da ist das Schöne dann nicht weit, so hofft man zumindest.

Andreas Denk: Machen wir den Reali­täts­test: Wir sitzen hier in München im „Donisl“. Die Gast­stätte haben Sie unlängst neu ausge­stattet und einge­richtet. Im Original ist hier bis auf die Fassade nur noch wenig vorhanden. Aus denk­mal­pfle­ge­ri­scher Sicht würde sich das Authen­ti­sche des Hauses auf diese Fassade beschränken. Der Gast wiederum würde wahr­schein­lich behaupten, dass er in einem authen­ti­schen Münchner Wirtshaus einge­kehrt ist…

Andreas Hild: Man könnte sogar noch einen Schritt weiter gehen: Es gibt mehrere Authen­ti­zi­täts­formen, die wir verschie­denen Personen oder Gruppen zuordnen können, die erwähnte denk­mal­pfle­ge­ri­sche Authen­ti­zität steht dabei dem archi­tek­to­ni­schen Entwurf gegenüber. Das Material hat bei unserem Entwurf eine wichtige Rolle gespielt. Wir haben gesagt: Wir bauen nach dem Rein­heits­gebot – nur mit Massiv­holz, Kalkputz, echten Rabitz­ge­wölben, echtem Kupfer, Messing, Stein. Diese Verwen­dung origi­nären Materials war sehr teuer, hat aber für die Qualität der Umsetzung eine große Rolle gespielt. Man sollte den Begriff der Authen­ti­zität sicher nicht über­stra­pa­zieren, aber für die Wirkung des fertigen Raums ist das schon wichtig.

Andreas Denk: Damit kommen wir aber schon zu verschie­denen Defi­ni­tionen des Authen­ti­schen, die sich offenbar sehr diver­genten Perspek­tiven verdanken. Man kann die Origi­nal­sub­stanz für authen­tisch halten, wie der Denk­mal­pfleger es ange­sichts der Fassade tut, für einen Archi­tekten liegt die Authen­ti­zität wahr­schein­lich in der mate­ri­ellen Reali­sie­rungs­ebene – und man kann auch das Bild eines Gebäudes oder einer Situation für authen­tisch halten, beispiels­weise wie es der Tourist sieht…

Andreas Hild: Ich wünsche mir eine Neube­grün­dung des Begriffs: Wenn ich sage, dass authen­tisch etwas ist, was für authen­tisch gehalten wird, kann ich das Postulat aufstellen, dass es mindes­tens zwei sein müssen, die etwas für authen­tisch halten. Das hieße: Authen­ti­zität entsteht immer dann, wenn man sagt, „das ist authen­tisch“, und einer kommt dazu und stimmt dem bei. Es ist also eine Inter­ak­tion, eine Über­ein­kunft, die Authen­ti­zität entstehen lässt. Dieses Zustim­mungs­prinzip könnte eine Authen­ti­zität begründen, die auch im Denk­mal­dis­kurs wieder Sinn machen würde – wenn wir uns beispiels­weise darauf einigen, dass Sicht­beton authen­tisch ist und gestri­chener Beton nicht.

Andreas Denk: Dahinter steht schließ­lich die in der Denk­mal­pflege viel disku­tierte Frage, ob ein Denkmal nur durch seine Substanz oder schon durch sein Bild zum Denkmal wird…

Andreas Hild: Folgen wir der Charta von Venedig, geht es immer um Origi­nal­sub­stanz. Das würde ich – als „neuer“ Denk­mal­pfleger – so nicht stehen lassen wollen. Beim Original ist immer die Frage, welchem Maßstab man die Origi­na­lität zumutet: Im Maßstab einer Stadt kann man problemlos ein Haus rekon­stru­ieren und es als Teil des Denkmals und einer größeren Idee sehen. Im Maßstab einer Wand oder eines Bildes – einer kleineren Einheit also – ist das nicht so einfach. Die Frage ist: Wie viel Substanz behalte ich noch übrig? Das ist immer eine Abwägung, bei der Begriff­lich­keiten wie Authen­ti­zität, Original und Echtheit wichtig sind. Wir sollten deshalb versuchen, uns zu verstän­digen, was damit wirklich gemeint ist. Und das „Zustim­mungs­prinzip“ erscheint mir plausibel, weil es eine Über­ein­stim­mung zumindest in einer Gruppe herstellt. Es muss einver­ständ­lich sein, dass Authen­ti­zität „entsteht“, weil wir zustimmen, dass etwas authen­tisch ist, und nicht, dass es authen­tisch ist, weil etwas a priori so ist.

Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Foto: Michael Heinrich
Hild und K Archi­tekten,
Gast­stätte Donisl, München 2013 – 2015, Foto: Michael Heinrich

Andreas Denk: Nehmen wir einmal einen komple­xeren Zwei­fels­fall: den Wieder­aufbau der Warschauer Altstadt. Dort gibt es den zentralen Altstäd­ti­schen Markt, der im wesent­li­chen so aussieht wie vor dem Krieg, nur dass die Art und Weise, wie die Fassaden gemacht und die Parzellen im Innern verändert worden sind, kaum Über­ein­stim­mung mit dem Vorkriegs­zu­stand hat. Man kann an bestimmten Klei­nig­keiten wie Gauben und Dach­lö­sungen – so ähnlich wie beim Prin­zi­pal­markt in Münster – fest­stellen, dass hier keine Originale der Renais­sance stehen, sondern Produkte einer späteren Zeit. Besuchern und sogar Fach­leuten würde das Ganze wie ein stimmiges Ensemble vorkommen, hinter dem die Frage nach der histo­ri­schen Authen­ti­zität zurück­bleibt. Wäre uns geholfen, wenn wir mit dem Verständnis von Authen­ti­zität ein Verstrei­chen von Zeit verbinden? Entsteht Authen­ti­zität durch die Patina, die ein Haus oder ein Ding angesetzt hat?

Andreas Hild: Warschau ist ein gutes, inter­es­santes, aber hinter­häl­tiges Beispiel, weil es die Frage direkt berührt, ob eine Rekon­struk­tion möglich ist oder nicht. Wenn man durch das „alte“ Warschau geht, tut man sich selbst als modern ausge­bil­deter Architekt schwer zu glauben, dass Rekon­struk­tion, wenn sie so wie dort gemacht ist, nicht möglich ist. Der Alte Markt in Warschau ist schlichtweg ein gelun­genes städ­te­bau­li­ches Ensemble, und man muss weit ausholen, um der Warschauer Rekon­struk­tion Authen­ti­zität abzu­spre­chen. Das ist Wieder­aufbau als Rekon­struk­tion, der fraglos zum Kultur­erbe gehört. Der intel­lek­tu­elle Vorgang, der damit verbunden ist, ist ein über die normale Authen­ti­zi­täts­dis­kus­sion hinaus inter­es­santer Gedan­ken­gang. In Warschau zeigt sich die Aufladung der denk­mal­pfle­ge­ri­schen Begriffe mit mora­li­schen Begriffen, die letztlich aus den Kate­go­rien des Wahren, Guten und Schönen kommen. Ich würde hier zwar nicht leicht­fertig die Sicht­bar­keit, die Ables­bar­keit der histo­ri­schen Schich­tung, die die Charta von Venedig fordert, aufs Spiel setzen. Aber ist sie hier wirklich geboten? Würde sie das Denkmal eindeu­tiger oder besser machen? Deshalb müssen wir uns darüber unter­halten, wer was wann für ablesbar halten können muss. Und wenn wir das tun, stellt sich die Frage nach der Authen­ti­zität noch einmal ganz anders.

Andreas Denk: So erweist sich erneut der Unter­schied zwischen „Machen“ und „Betrachten“ als Kern­pro­blem der Defi­ni­tion des Authen­ti­schen. Wir können als „Autoren“ etwas machen und sind uns gewiss, dass es seine Rich­tig­keit hat: Das mate­ri­elle Ergebnis wird seine Selbst­ver­ständ­lich­keit zu erkennen geben. Für Rezi­pi­enten stellt sich das Problem ange­sichts des funk­tio­nie­renden Bildes gar nicht – oder anders. Gehen wir Ihrer Meinung nach also immer noch von einem Begriff der histo­ri­schen Lesbar­keit der Stadt und der Archi­tektur aus, die sie viel­leicht schon gar nicht mehr haben?

Andreas Hild: …die sie in der Direkt­heit, in der sie immer wieder gefordert wird, mögli­cher­weise gar nicht brauchen! Eine unmit­tel­bare „Lesbar­keit“ ist gar nicht notwendig: Ich habe bei einem Besuch in Warschau gelernt, dass die Fassad­en­glie­de­rung und ‑färbung des Altmarkts auch erst einem Wett­be­werb von 1921 entsprungen sind, der wiederum eine Idee von spezi­eller polni­scher Volks­kunst tradiert hat. Da wird klar, dass die Frage der Authen­ti­zität hier hoch­kom­plex geworden ist. Es wird einem bewusst, dass es bedenk­lich ist, das, was wir gerade für richtig und wichtig halten, mit dem mora­li­schen Siegel der Authen­ti­zität zu versehen und als unver­rück­bare Leitlinie zu defi­nieren. So wird „Authen­ti­zität“ zu einem Totschlag­ar­gu­ment, das sich irgend­wann gegen uns kehrt.

Andreas Denk: Die Authen­ti­zi­täts­de­batte wie auch die Frage nach Original und Rekon­struk­tion reichen zurück bis zum legen­dären Streit um den Wieder­aufbau des Heidel­berger Schlosses um 1890. Damals erhob sich die große Frage nach dem zeit­ge­mäßen Umgang mit dem weit­ge­hend ruinösen Bauwerk, die schließ­lich in einer relativ eindeu­tigen Stel­lung­nahme zugunsten der Konser­vie­rung der Reste und gegen eine Rekon­struk­tion der Wieder­her­stel­lung ausfiel. Einer der Wort­führer war der Kunst­his­to­riker Ludwig Dehio, der damals den Leitsatz der Denk­mal­pflege schlechthin prägte: „Konser­vieren, nicht restau­rieren!“. Auf der anderen Seite waren Carl Schäfer und seine Anhänger, die einen schöp­fe­ri­schen Wieder­aufbau in den Formen der Renais­sance propa­gierten und teilweise auch durch­ge­setzt haben…

Andreas Hild:…an Dehios Setzung orien­tiert sich die Denk­mal­pflege bis heute…

Andreas Denk: …sie ist aber auch aus dem Geist ihrer Zeit zu verstehen: Dass dieses Thema überhaupt so große Bedeutung bekam, lag natürlich am archi­tek­to­ni­schen Eklek­ti­zismus der Zeit, bei der das Bauen – im Gegensatz zum stren­geren Histo­rismus zuvor – in mehr oder minder belie­bigen Collagen von Stil­ele­menten histo­ri­scher Archi­tektur zum Handwerk gehörte. Zwischen dem, was neu gemacht wurde und dem, was alt war und viel­leicht zeit­ge­nös­sisch überformt wurde, war kein Unter­schied mehr zu machen, weil die gegen­wär­tige Archi­tektur genauso aussehen konnte wie das gut über­ar­bei­tete Original einer anderen Epoche. Das empfand Dehio als Form von Geschichts­fäl­schung oder ‑klit­te­rung.

Andreas Hild: Das mag richtig sein, führt aber tatsäch­lich in eine der Sack­gassen, in die die Moderne geraten ist. Sie hat dezi­dierte bestimmte Sprach­teile, bestimmte Dialekte – so wie die Renais­sance­formen, die man für den Wieder­aufbau des Heidel­berger Schlosses hätte nehmen wollen – verboten oder zumindest gekappt, so dass sie nicht mehr zu verwenden waren. Aus dieser Tabui­sie­rung folgte die Über­zeu­gung, dass man grund­sätz­lich histo­ri­sche Gebäude nicht aufbauen könnte und sollte. Ich glaube hingegen, dass es einen Wort­schatz gibt, der zunächst einmal aus allen Formen bestehen kann, die es gibt: von der Zahn­pas­ta­tube bis zum Kreis­bogen. Diese Welt der Dinge liegt als Formen­kanon vor uns, über dessen Verwend­bar­keit immer wieder neu verhan­delt werden muss.

Andreas Denk: Das hätten die Theo­re­tiker der Post­mo­derne ebenso gesagt…

Andreas Hild: Aber heute ist die Verwen­dung des vollen Formen­ka­nons der Archi­tektur nicht mehr als Waffe gegen die Moderne zu sehen. Vielmehr steht im Vorder­grund immer auch die Frage, welchen formalen Bezug ich auf die Geschichte nehme und was das Ziel ist, wenn ich etwas umbaue. Wenn die Verwen­dung einer archi­tek­to­ni­schen Figur oder eines Elements kein ideo­lo­gi­sches Problem ist, sondern zur Stei­ge­rung der Qualität einge­setzt wird, muss man nicht eigens betonen, dass es authen­tisch ist. Erst wenn seine Verwen­dung einer Begrün­dung bedarf, wird die Unter­schei­dung zwischen dem Authen­ti­schen und dem Nicht-Authen­ti­schen wichtig.

Andreas Denk: Dehios Beharren auf der ruinösen Origi­nal­sub­stanz als der authen­ti­schen Daseins­weise des Heidel­berger Schlosses und seiner daraus resul­tie­renden Verpflich­tung seiner Zeit­ge­nossen auf ablesbar neue Formen – als ihrer­seits authen­ti­sche Hinzu­fü­gung zeit­ge­nös­si­scher Schichten – , hat mit dem Empfinden für die Archi­tektur der eigenen Zeit zu tun. Dehio wünschte sich, dass sich das Neue als Neues zu erkennen gibt und dadurch die gleiche Form von Authen­ti­zität besitzt wie die Ursprungs­formen des Schlosses, die in der Renais­sance der Ausdruck ihrer Zeit waren. In Dehios Verständnis wird das Neue, das sich formal des Alten bedient, un-authen­tisch und das Alte glei­cher­maßen auch. Erst die Idee, durch eine erkenn­bare Scheidung der histo­ri­schen Schichten das Alte authen­tisch zu belassen und dem Neuen eine neue Authen­ti­zität zuzu­bil­ligen, führt zu dieser Unter­schei­dung, die ich auch heute noch nach­voll­ziehen kann.

Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Fotos: Michael Heinrich
Hild und K Archi­tekten,
Gast­stätte Donisl, München 2013 – 2015, Fotos: Michael Heinrich

Andreas Hild: Wenn wir mit Dehio oder Riegl argu­men­tieren, laufen wir Gefahr, die gleiche Diskus­sion zu wieder­holen, die die Denk­mal­pflege schon des längeren ergeb­nislos beschäf­tigt. Wenn ich betone, dass das authen­tisch ist, was für authen­tisch gehalten wird, heißt das nicht, dass jeder seine eigene Authen­ti­zität erfinden kann, sondern dass es letztlich eine Entschei­dung aufgrund einer Plau­si­bi­lität gibt. Das würde im Bereich der Denk­mal­pflege viel verein­fa­chen: Würde man sich von vorn­herein darüber verstän­digen, was das Ziel einer Maßnahme in einer Stadt oder in einem Haus wäre, könnte man zu stim­mi­geren Ergeb­nissen gelangen. Dann würde deut­li­cher, wo es für den Archi­tekten Frei­heiten der Inter­pre­ta­tion gibt und wo nicht. Heute bestimmt die Denk­mal­pflege mit dem Begriff der „Authen­ti­zität“, wie es war und wie es zu sein hat, ohne offen zu legen, woher die Urteils­kri­te­rien eigent­lich kommen. Damit wird eine höhere Legi­ti­mität der Substanz als bei einem neuen Entwurf behauptet: Gerade bei zweit­klas­sigen Denk­mä­lern der Jahre nach 1945 gelangt man dann schnell zu proble­ma­ti­schen Abwä­gungen, die zu schlech­teren Ergeb­nissen führen.

Andreas Denk: Was bedeutet das in Ihrer Praxis?

Andreas Hild: Dass man beispiels­weise bei der Restau­rie­rung einer Büro­haus­fas­sade der fünfziger Jahre seitens der Denk­mal­pflege auf den Erhalt der „authen­ti­schen“ schmalen Fens­ter­pro­file pocht, den origi­nalen Gläsern aber im Prinzip keine Beachtung schenkt, obwohl sie den weitaus größeren Substanz­an­teil ausmachen. Wenn der Erhalt der Profile schließ­lich dann doch ener­ge­tisch nicht möglich ist, ist die gesamte denk­mal­wür­dige Substanz verschwunden – und es wird nur noch das Bild des Gebäudes rekon­stru­iert. Würde man den Vorgang des Bedeu­tungs­ge­winns durch „Authen­ti­zität“ von vorn­herein anders und gemein­schaft­lich defi­nieren, kämen Archi­tekten – auch im Sinne der Denk­mal­pflege – wahr­schein­lich zu anderen und inter­es­san­teren Ergeb­nissen. Und müssten sich nicht von der Denk­mal­pflege gegängelt fühlen…

Andreas Denk: Was wären solche anderen Werte, die Sie gegen den Substanz­ver­lust ins Feld führen können?

Andreas Hild: Wenn wir bestimmten Formen oder Vorge­hens­weisen das Güte­siegel der Authen­ti­zität zuschreiben könnten, könnten wir uns über die Berei­che­rung des Bestands durch die Erzeugung bestimmter Atmo­sphären und anderer Formen­welten verstän­digen, die die Authen­ti­zität des ursprüng­li­chen Gebäudes festigen oder ergänzen, oder ihm eine weitere authen­ti­sche Schicht hinzu­fügen. Für Archi­tekten böte sich so die große Möglich­keit, Formen und Motive verwenden zu dürfen, die im Regelfall nicht zulässig sind, obwohl sie in bestimmten Fällen produk­tive Wirkung entfalten könnten. Und in dem Moment, wo Denk­mal­pfleger und Archi­tekten sich geeinigt haben, werden sie auch authen­tisch.

Andreas Denk: Was verspre­chen Sie sich von einer Neube­le­gung des Authen­ti­schen als Verein­ba­rungs­be­griff?

Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015
Hild und K Archi­tekten,
Gast­stätte Donisl, München 2013 – 2015

Andreas Hild: Wir sind als Archi­tekten dazu aufge­rufen, insbe­son­dere im Nach­kriegs­be­stand Umbauten möglich zu machen. Wir müssen dafür Bilder ersinnen, die solche Umbauten als gesell­schaft­lich sinnvoll erscheinen lassen und die mehr erklären als die Antwort auf die Frage, was neu und was alt ist. Wenn Archi­tekten und Denk­mal­pfleger sich jetzt auf bestimmte Aspekte der Rekon­struk­tion einigen können, die zur Authen­ti­zität beitragen, ergeben sich mehr Möglich­keiten, als wenn es nur um eine Sanierung des histo­ri­schen Bestands geht. Über solche Verein­ba­rungen würde auch klar, dass wir in einem Form­schöp­fungs­pro­zess sind und nicht nur in einem Form­er­hal­tungs­pro­zess. Wir werden auf Dauer nur mit hoher Qualität umbauen können, wenn wir es schaffen, die zu erwar­tenden Ergeb­nisse als faszi­nie­rendes Konstrukt von Alt und Neu zu begreifen und entwerfen zu können. Daraus folgen viele Dinge formaler Natur, die man in der strengen mora­li­schen Observanz der Moderne eigent­lich nicht machen dürfte, die aber schließ­lich dazu beitragen, die Authen­ti­zität eines Raums, eines Gebäudes oder eines Stadt­teils zu festigen oder zu fördern – viel­leicht merkt man dann aber nicht mehr, ob das Resultat die Folge eines Umbaus ist oder nicht. Diese erneuerte Praxis aber hat eine Neube­wer­tung des Begriffs der Authen­ti­zität zur Voraus­set­zung.

Prof. Dipl.-Ing. Andreas Hild (*1961) studierte Archi­tektur an der ETH Zürich und der TU München. 1992 gründete er zusammen mit Tillmann Kalt­wasser das Büro Hild und Kalt­wasser Archi­tekten. Seit 1999 in Part­ner­schaft mit Dionys Ottl: Hild und K Archi­tekten. Nach verschie­denen Lehr­auf­trägen und Gast­pro­fes­suren wurde Hild 2013 auf die Professur für Entwerfen, Umbau und Denk­mal­pflege an der TU München berufen. Andreas Hild ist Mitglied des Redak­ti­ons­bei­rats dieser Zeit­schrift, er lebt und arbeitet in München.

Prof. Andreas Denk (*1959) studierte Kunst­ge­schichte, Städtebau, Technik‑, Wirt­schafts- und Sozi­al­ge­schichte sowie Vor- und Früh­ge­schichte in Bochum, Freiburg i. Brsg. und in Bonn. Er ist Archi­tek­tur­his­to­riker und Chef­re­dak­teur dieser Zeit­schrift und lehrt Archi­tek­tur­theorie an der Tech­ni­schen Hoch­schule Köln. Er lebt und arbeitet in Bonn und Berlin.

Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Foto: Michael Heinrich
Hild und K Archi­tekten,
Gast­stätte Donisl, München 2013 – 2015, Foto: Michael Heinrich
Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Foto: Michael Heinrich
Hild und K Archi­tekten,
Gast­stätte Donisl, München 2013 – 2015, Foto: Michael Heinrich
Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Fotos: Michael Heinrich
Hild und K Archi­tekten,
Gast­stätte Donisl, München 2013 – 2015, Fotos: Michael Heinrich
Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015
Hild und K Archi­tekten,
Gast­stätte Donisl, München 2013 – 2015