Reprä­sen­ta­tion des Bürger­sinns

Wir suchen erneut ein Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Nach­kriegs-Archi­tek­tur­ge­schichte spielt oder gespielt hat – sei es durch eine besondere Eigen­schaft, eine unge­wöhn­liche Geschichte oder eine spezi­fi­sche Merk­wür­dig­keit. Lösungs­vor­schläge können per Post, Fax oder E‑Mail an die Redaktion gesandt werden. Unter den Einsen­dern der richtigen Antwort verlosen wir ein Buch. Einsen­de­schluss ist der 14. November.

Der Standort des „tatorts“ in einer nord­deut­schen Großstadt, die auch Land ist, ist spek­ta­kulär. Mitten im Herzen des Gemein­we­sens, am Markt, direkt gegenüber von Denk­mä­lern, die Teil der Identität dieses Ortes sind, suchte man nach einem Ersatz für ein großes öffent­li­ches Gebäude aus dem 19. Jahr­hun­dert, das im Krieg ausge­brannt war. Nach einem etwas klein­mü­tigen Ideen­wett­be­werb in den frühen Nach­kriegs­jahren entschied man sich einige Jahre später, den Markt als „Stätte der Reprä­sen­ta­tion (des) Bürger­sinns“ auszu­bauen und das Grund­stück für den Bau eines Parla­ments mit Plenar­saal zu verwenden.

Ein offener Wett­be­werb dazu erbrachte keinen Sieger, sondern eine Preis­gruppe mit drei Teil­neh­mern, von denen zwei ihre Entwürfe über­ar­beiten durften. Einer der beiden, ein schon in den 1920er Jahren bekannter Architekt, der mit seinem Bruder und einem weiteren Kollegen zum Teil spek­ta­ku­läre Bauten entworfen, aber nur selten umgesetzt hatte, hatte einen Stahl­beton-Skelettbau mit Flachdach in den Formen der fort­ge­führten Moderne einge­reicht. Dieser Vorschlag löste eine heftige Diskus­sion um die richtige Stilistik des Neubaus aus, die viele Bürger eher in archi­tek­to­ni­schen Formen sahen, die sich der histo­ri­schen Umgebung anpassten. Auch eine Reihe von kontro­versen Gutachten führte keine Entschei­dung herbei.

Klarheit suchte die Bürger­schaft schließ­lich in einem zweiten Wett­be­werb, zu dem neben den beiden Weiter­be­ar­bei­tern zwei weitere namhafte Archi­tekten aufge­for­dert wurden. Schließ­lich folgte die Stadt dem Urteil der Gutachter, die sich für die wesent­lich über­ar­bei­tete Version des modernen Entwurfs aus dem ersten Wett­be­werb ausspra­chen. Die Bekrönung der mit Bron­ze­re­liefs kombi­nierten, vertikal geglie­derten Stahl-Alu-Glas-Fassade mit einem mehr­tei­ligen Giebel­motiv kommen­tierte ein Gutachter ironisch mit der Bemerkung, dass der Architekt „hier wohl Stricken gelernt“ habe. Diesem wiederum war die poli­ti­sche Bedeutung der Kompro­miss­form bewusst: Von der Verwen­dung des Giebel­mo­tivs habe es abge­hangen, dass er den Auftrag bekommen habe, äußerte der Architekt später.

Diese Entschei­dung löste eine weitere, noch heftigere Kontro­verse in der Stadt aus. Ein Verein veran­stal­tete sogar mehrere Bürger­ab­stim­mungen, die sich sämtlich gegen den preis­ge­krönten Entwurf und für die Rekon­struk­tion von Giebel­häu­sern an dieser Stelle ausspra­chen. Dennoch blieb der verant­wort­liche Bürger­schafts­prä­si­dent, der schon früh „Mut zum Neuen“ gefordert hatte, bei seiner Entschei­dung, so dass der Bau schließ­lich zu Ausfüh­rung kam. Bis heute ist dem Gebäude anzu­merken, wie sehr sich sein Architekt um eine demo­kra­ti­sche Ausdrucks­form bemühte: Das offen und hell wirkende Haus ohne Bannmeile ist fast immer zugäng­lich. „Die Demo­kratie ist hier nicht suspen­diert“, erklärte der Architekt damals die enge räumliche Verbin­dung zwischen Poli­ti­kern und Bürgern. Und der Markt der Stadt zeigt immer noch, welche Leis­tungen des Bauens im histo­ri­schen Bestand die Archi­tektur dieser Zeit vermochte. Um welches Gebäude handelt es sich, und wer war sein Architekt?

Prägnant, aber nicht ganz einfach zu loka­li­sieren, war der „tatort“ der Ausgabe 4/16: Es ging um das Parkhaus Oster­straße in Hannover, das nach Plänen des haupt­säch­lich in der Leine­stadt tätigen Archi­tekten Hans Wilke 1974 entstand. Der Gewinner des Buch­preises ist Rolf Toyka aus Wiesbaden.

Foto: Andreas Denk
Foto: Andreas Denk
Foto: Andreas Denk
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