Schmug­gel­ware

Buch der Woche: Atlas der seltsamen Häuser

Wer Niklas Maak nicht leiden kann, der wird auch in diesem Buch etwas finden, an dem man herum­mä­keln kann. Die zwei Recht­schreib­fehler, die das Lektorat übersehen hat, oder dass es kaum Bilder gibt in diesem Buch, oder eben irgend­etwas anderes, was man dem Träger des BDA-Preises für Archi­tek­tur­kritik ankreiden möchte. Man kann dieses Buch aber auch einfach als Glücks­fall begreifen. Das einzige, was ohne Frage wirklich ärgerlich ist, ist der Fakt, dass der Münchner Hanser Verlag „Atlas der seltsamen Häuser und ihrer Bewohner“ erst Ende August veröf­fent­licht hat und man selber zu diesem Zeitpunkt bereits aus der Sommer­fri­sche in den heimi­schen Kosmos zwischen Herd, Schreib­tisch und urbanem Getümmel zurück­ge­kehrt ist. Nach „Der Architekt am Strand“ (2010), dem groß­ar­tigen „Fahr­ten­buch. Roman eines Autos“ (2011) und dem kontro­vers bespro­chenen „Wohn­kom­plex. Warum wir andere Häuser brauchen“ (2014) ist der nun vorlie­gende Atlas nämlich erneut ein wunder­bares Lesebuch, das sich bestens als legere Urlaubs­lek­türe eignet. Dabei ist es nie unernst, immer wieder aber mit ange­nehmen Witz geschrieben.

Niklas Maak, 1972 in Hamburg geboren, hat hier 15 Bauten zwischen Palo Alto in Kali­for­nien, Manheim in Nordrhein-Westfalen, Nairobi in Kenia und Tokio in Japan zusam­men­ge­tragen. Der „Atlas der seltsamen Häuser“ erzählt anhand ihrer Bewohner je eine Geschichte. Diese sind unter­schied­lich lang, die Archi­tektur selber erscheint mal wichtiger, mal weniger relevant. Statt­dessen erscheint sie hier einmal mehr als „Schmug­gel­ware“. Vielfach zitiert und von unter­schied­li­chen Prot­ago­nisten angeführt hat den Umstand der Archi­tektur als „subver­sivem Gut“ wohl am anschau­lichsten Werner Sewing in seinem 2003 in der Reihe „Bauwelt-Funda­mente“ erschienen Buch „Bildregie. Archi­tektur zwischen Retro­de­sign und Event­kultur“ dargelegt. Archi­tektur ist ohne Frage wichtig. Die Beschäf­ti­gung mit ihr viel­leicht so relevant wie nie. Dass man über das Bauen, über Häuser, ihre Entste­hung und Benutzung aber schreiben kann, ohne die Archi­tektur zu überhöhen beweist dieses Buch. Es handelt von Archi­tektur, das schon, das Wissen um die Häuser, Städte und Bauherren aber wird dem Leser gewis­ser­maßen heimlich unter­ge­ju­belt.

Die Bauten und ihre archi­tek­tur­theo­re­ti­sche Ausleuch­tung sind gleich­zeitig Thema des nun vorlie­genden Buches und gleich­zeitig sind sie es nicht. Maak ist seit 2001 Redakteur für Kunst und Archi­tektur im Feuil­leton der Frank­furter Allge­meinen Zeitung und hier sind einige im Buch versam­melte Texte bereits in gekürzter Form erschienen. Das tut ihrer jewei­ligen Qualität und dem Gesamt­ein­druck des „Atlas“ aber keinen Abbruch. Maak konzen­triert sich auf die Nutzer der Bauten, ohne ihre Behausung zu kurz kommen zu lassen. Wie kleine Reise­be­richte lesen sich die Texte des Autors, der Kunst­ge­schichte, Philo­so­phie und Archi­tektur studierte.

So schildert er etwa Begeg­nungen mit Antti Lovags, dem Utopisten und Archi­tekten der in den letzten Jahren von einer immer breiter werdenden Inter­es­sier­ten­schar wieder­ent­deckten Kugel­häuser, in Südfrank­reich. Maak beleuchtet dabei nicht nur die Genese des Werks Lovags, sondern auch die archi­tek­tur­ge­schicht­liche Einord­nung der Bauten des gebür­tigen Ungarns. Im Mittel­punkt des Textes stehen aber einmal mehr die Bewohner der Bauten Lovags. Einfühlsam proträ­tiert Maak den Habi­to­logen Lovags selber, der schließ­lich einsam und zurück­ge­zogen 2014 in einem von ihm entwor­fenen und teils eigen­händig gebauten aber nie voll­endeten Haus in Tour­rettes-sur-Loup starb.

Schön auch die Erzählung aus New York, wo der Autor einst beim Wild-Campen vor dem Gramercy Park Hotel von einem New Yorker Poli­zisten geweckt wurde. Maak, in der Stadt um einen Freund zu besuchen, war gezwungen im Auto zu über­nachten, weil alle erschwing­li­chen Hotel­zimmer belegt waren, die übrigen zu teuer und der Freund über­ra­schend die Chance hatte, mit einer alten Flamme anzu­bän­deln. Letzteres bleibt unterm Strich zwar erfolglos, die vermeint­liche Flamme stellt sich als tenden­ziell lang­weilig und im wahrsten Wortsinn unfass­lich verschla­fene Person heraus, die Zeit die die drei in und um den Big Apple verbringen aber wird ebenso eindrück­lich beschrieben wir die Bauten der Stadt – allen voran das Hotel vor dem Maak in einem roten Dodge nächtigt.

Das Buch gipfelt in einer längeren Urlaubs­re­por­tage von der fran­zö­si­schen Atlan­tik­küste. Diese mäandert genauso hin und her, wie es ein Urlauber während eines gelun­genen Feri­en­auf­ent­halts tut. Was als irgendwie in sich ruhende Spannung des Aufschließen und Aneignen des Feri­en­hauses beginnt, gipfelt in einer furiosen Kaskade immer weiter eska­lie­render Besuche von Freunden, Freun­des­freunden, deren Lebens­ab­schnitts­ge­fähr­tinnen und Kindern, bei der man dem Autor wünscht, die Situation möge möglichst bald enden. In der Tat passiert genau das und die Urlauber haben wieder Zeit für sich, das Land, den Ort, seine festen und tempo­rären Archi­tek­turen die dazu­ge­hö­rigen Geschichten und Anekdoten. Ein Buch also, wie gemacht für eine Urlaubs­lek­türe.

David Kasparek

Niklas Maak: Atlas der seltsamen Häuser und ihrer Bewohner, 256 S., fester Einband mit Schutz­um­schlag, 20,– Euro, Hanser Verlag, München 2016, ISBN 978–3‑446–25289‑9

Niklas Maak: Atlas der seltsamen Häuser und ihrer Bewohner, 256 S., fester Einband mit Schutzumschlag, 20,– Euro, Hanser Verlag, München 2016, ISBN 978-3-446-25289-9
Niklas Maak: Atlas der seltsamen Häuser und ihrer Bewohner, 256 S., fester Einband mit Schutz­um­schlag, 20,– Euro, Hanser Verlag, München 2016, ISBN 978–3‑446–25289‑9

 

Niklas Maak: Atlas der seltsamen Häuser und ihrer Bewohner, 256 S., fester Einband mit Schutzumschlag, 20,– Euro, Hanser Verlag, München 2016, ISBN 978-3-446-25289-9
Niklas Maak: Atlas der seltsamen Häuser und ihrer Bewohner, 256 S., fester Einband mit Schutz­um­schlag, 20,– Euro, Hanser Verlag, München 2016, ISBN 978–3‑446–25289‑9