Ausschwin­gende Tribünen

Wieder suchen wir ein Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Archi­tek­tur­ge­schichte der zweiten Hälfte des 20. Jahr­hun­derts spielt oder gespielt hat – sei es durch eine besondere Eigen­schaft, eine unge­wöhn­liche Geschichte oder eine spezi­fi­sche Merk­wür­dig­keit. Lösungs­vor­schläge können per E‑Mail (redaktion[at]die-architekt.net) an die Redaktion gesandt werden. Unter den Einsen­de­rinnen und Einsen­dern der richtigen Antwort verlosen wir ein Buch. Einsen­de­schluss ist der 15. September 2023.

Foto: giggel, CC BY 3.0

Zur Eröffnung spielten Bill Haley und seine Kometen. Einige wollten dazu Rock’n’Roll tanzen, doch die Polizei hat’s verboten. Stühle und Scheiben gingen zu Bruch. Eine britische Hardrock-Band hat hier 1973 sagen­haften Lärm veran­staltet, lauter als ein star­tender Düsenjet. Und ja, die Jets waren damals noch viel lauter als heute. Der Drummer Cozy Powell hat hier 1984 klas­si­sche Musik zu seinem Schlag­zeug­solo einspielen lassen. Auch diese Geschmacks­ver­ir­rung hat die Halle klaglos wegge­steckt. Trotzdem sollte sie vor rund 30 Jahren eigent­lich weg, die Konkur­renz der Mehr­zweck­hallen in der Region war zu groß geworden. Denk­mal­schutz war die Rettung.

Hervor­ge­gangen aus einem Wett­be­werb, war sie das Werk einer Gemein­schaft zweier Archi­tekten, die sich mehrfach projekt­be­zogen zusam­men­getan haben. Der eine war zwei Jahre lang Vize­prä­si­dent des BDA und lebte die letzten Jahre vor seinem frühen Tod unter einem Künst­ler­namen als Bildhauer in der Schweiz. Der andere war beteiligt an der späteren Erwei­te­rung einer großen Park­an­lage, die unserem Tatort seinen Namen gab.

Ikonisch in der äußeren wie der inneren Erschei­nung, ist der Tatort inter­na­tional wieder­erkennbar. Ein recht­eckiger Sockel, der aus Kosten­gründen auf den Funda­menten einer kriegs­zer­störten Ausstel­lungs­halle errichtet wurde, und zwei asym­me­trisch zuein­ander ausschwin­gende Seiten­tri­bünen aus Stahl­beton; darüber ein ebenfalls asym­me­tri­sches, aber nicht paral­leles, 6400 Quadrat­meter stüt­zen­frei über­span­nendes Dach aus einem stäh­lernen Raum­trag­werk – dazwi­schen Glas. Das reicht schon zur Beschrei­bung, mehr gibt es nicht zu sehen. Im Ursprungs­zu­stand waren die Vorhänge zur Verdunk­lung der Glas­fronten und die Atti­ka­ver­klei­dung an Trauf- und Ortgang in den beiden Wappen­farben der Stadt gehalten, was der Halle – neben ihrer Kubatur – im Volksmund eine Analogie aus der Insek­ten­welt eintrug. Heute arti­ku­liert sich das Äußere grau in grau.

Der Tatort war einmal ein großer Name in der Welt der inter­na­tio­nalen Rock- und Pop-Tourneen vor der Stadion-Ära. Es wäre wahr­schein­lich schwie­riger aufzu­zählen, wer hier nicht gastierte. Viele Konzerte wurden sogar live im Fernsehen über­tragen – eine Inno­va­tion, die mit dem Namen unseres Tatorts immer verbunden sein wird. Heute ist es – im wahrsten Sinne des Wortes – etwas stiller geworden, aber Schla­ger­nacht, Sommer­fest, Mili­tär­musik oder Kinder-Musical werden hier immer noch gegeben. Fragt sich, wie der Tatort heißt, in welcher Stadt er steht und wer die beiden Archi­tekten waren.

Beim Tatort aus Heft 3 / 2023 handelt es sich um die Staat­liche Verwal­tungs­schule auf dem „Campus Stadt­garten“ in Stuttgart, die vom Archi­tekten Rolf Gutbier geplant und 1971 errichtet wurde. Der erwähnte fast namens­gleiche Architekt ist Rolf Gutbrod. Der Gewinner des Buch­preises ist Johann Milde.

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Foto: giggel, CC BY 3.0