Versor­gung und Schutz

Wasser und Hoch­wasser im Kontext von Infra­struktur und Klima­wandel

Die Sicher­stel­lung einer zuver­läs­sigen Wasser­ver­sor­gung und eines ange­mes­senen Hoch­was­ser­schutzes stellt in der Stadt- und Frei­raum­pla­nung eine zentrale Heraus­for­de­rung dar. In vielen euro­päi­schen Städten ist die wasser­tech­ni­sche Infra­struktur, die genau für diese Zwecke geplant wurde, stark veraltet und den stei­genden Anfor­de­rungen durch Bevöl­ke­rungs­wachstum und Klima­wandel kaum noch gewachsen. Extreme Wetter­ereig­nisse wie heftige Regen­fälle und lange Trocken­pe­ri­oden treten immer häufiger auf und bringen die tradi­tio­nellen Systeme, die graue Infra­struktur, an ihre Grenzen. Inwieweit grüne Infra­struktur helfen kann, diese zu entlasten, analy­siert der Architekt Simon Gehrmann in diesem Beitrag.

Im Kontext der extremen Wetter­ereig­nisse gewinnen inno­va­tive Ansätze wie die soge­nannte grüne Infra­struktur an Bedeutung. Diese orien­tiert sich an natür­li­chen Prozessen und ökolo­gi­schen Prin­zi­pien, bietet nach­hal­tige Lösungen für den Umgang mit Wasser in urbanen Räumen und kann, wenn sie richtig in das urbane Gefüge einge­bettet wird, neben atmo­sphä­ri­schen Quali­täten sowohl die Wasser­ver­sor­gung als auch den tech­ni­schen Hoch­was­ser­schutz positiv beein­flussen. Durch die Kombi­na­tion tech­ni­scher Inno­va­tionen mit ökolo­gi­schen Prin­zi­pien können Städte wider­stands­fä­higer gegenüber den Heraus­for­de­rungen des Klima­wan­dels gemacht werden.

Europas über­al­terte Infra­struktur

Unsere Städte sind geprägt von einer Reihe unsicht­barer, in den Straßen liegenden Infra­struk­turen, die sowohl die Wasserver- und ‑entsor­gung sicher­stellen sollen, als auch lokalen Hoch­was­ser­schutz. Abb.: FG est

Vor allem in Deutsch­land stammt die in der Straße liegende graue Infra­struktur häufig noch aus den Jahr­zehnten nach dem Krieg, die vom Wieder­aufbau unserer Städte und dem schnellen Schaffen von Wohnraum geprägt waren. Nicht nur um die hygie­ni­sche Situation, die vor dem Krieg vor allem in den dicht bebauten Städten subop­timal war, zu verbes­sern, wurden in fast alle Straßen Kanäle gelegt, die das genutzte Wasser möglichst schnell in Richtung eines Flusses bezie­hungs­weise einer Klär­an­lage trans­por­tierten. Neben dem genutzten Wasser hatten diese Kanäle aber auch die Aufgabe, das im urbanen Raum anfal­lende Regen­wasser ebenfalls in die gleiche Richtung zu befördern, nämlich dorthin, wo die enormen Wasser­mengen sicher „entsorgt“ werden konnten. Die gesamte Infra­struktur wurde unter diesem „Out of sight, out of mind“-Ansatz gestaltet und aufgrund stati­scher Wasser­mengen so dimen­sio­niert, dass diese in der Regel ein Regen­er­eignis, welches statis­tisch gesehen einmal alle zwei Jahre vorkommt, problemlos ableiten kann. Im Umkehr­schluss bedeutet dies jedoch, dass die Kanäle bei stärkeren Regen­er­eig­nissen, also zum Beispiel einem Regen­er­eignis, dessen Inten­sität alle fünf Jahre kommt, auch mal über­laufen können. Diese Bemessung wurde jahr­zehn­te­lang als perfekte Abstim­mung zwischen Inves­ti­tion und Sicher­heit gewertet. Da die Wasser­massen, die letztlich in den Kanälen sind, aus Flächen im urbanen Raum stammen, steigen diese mit größerem Einzugs­ge­biet expo­nen­tiell an und mit ihnen auch die Kosten. Größere Rohr­durch­messer machen daher nur im Ausnah­me­fall Sinn, wenn besonders schüt­zens­werte Substanz vorhanden ist oder größere Rück­hal­te­vo­lumen in Frei­flä­chen aktiviert werden sollen, bis hin zu gezieltem Objekt­schutz, der im Ausnah­me­fall auch mal bis zum 100-jähr­li­chen Regen dimen­sio­niert werden kann.

Die Bemessung der grauen Infra­struktur bezie­hungs­weise die Ermitt­lung der statis­ti­schen Regen­er­eig­nisse basieren jedoch ebenfalls auf Beob­ach­tungen der Wetter- und Regen­er­eig­nisse aus den vergan­genen 80 Jahren. Zwischen den 1950er- und 1960er-Jahren, fast bis in die 1990er, waren diese in ihrer Häufig­keit relativ ausge­gli­chen und gleich­mäßig verteilt, sodass dieser Status Quo, also zum Beispiel die Bemessung der Stra­ßen­ka­näle nach einem zwei­jähr­li­chen Regen, relativ zuver­lässig über Jahr­zehnte hinweg angewandt wurde.

Über­al­terte Infra­struktur im Kontext des Klima­wan­dels

Die in der Straße liegenden Kanäle sind vor allem bei Stark­regen nicht in der Lage, die Wasser­massen aufzu­nehmen. In Folge kommt es zu Über­schwem­mungen. Abb.: FG est

Der Klima­wandel bezie­hungs­weise die globale Erder­wär­mung sorgen seit einigen Jahren dafür, dass sich das durch­schnitt­liche Klima um einige Grad erwärmt. Je wärmer die Luft ist, desto mehr Wasser kann sie speichern, was in direkter Konse­quenz zu mehr und inten­si­veren Regen­fällen führt, wenn die warmen Luft­schichten auf Tief­druck­ge­biete treffen. Auch wenn es sich nicht immer um Stark­re­gen­er­eig­nisse handeln muss, über­schreiten kurze, inten­si­vere Regen­er­eig­nisse die Aufnah­me­ka­pa­zi­täten des Bodens, was in Konse­quenz dafür sorgt, dass zu viel Nieder­schlag in die Kanäle fließt, damit in die Vorflut, in die Flüsse und schließ­lich ins Meer. Dadurch, dass das Regen­wasser nicht dort versi­ckert, wo es abregnet, wie es bei moderaten Regen­er­eig­nissen idea­ler­weise der Fall wäre, wird die Grund­was­ser­neu­bil­dung gestört. Grüne Infra­struk­turen können, wenn sie gezielt einge­setzt werden, die Infil­tra­ti­ons­rate in den Boden erhöhen, was diesen Effekten entge­gen­wirkt.

Auf der anderen Seite sorgen die wärmeren Luft­schichten aber auch dafür, dass es immer häufiger Phasen gibt, in denen es sehr wenig oder kaum regnet, was dann gepaart mit auftre­tenden Hitze­wellen dafür sorgt, dass städ­ti­sche Grün­flä­chen de facto austrocknen, die Grund­was­ser­stände fallen – wodurch auch der Druck auf die Trink­was­ser­ver­sor­gung steigt – oder die Natur generell darunter leidet, was nicht zuletzt auch in den euro­päi­schen Wäldern ablesbar ist.

Heut­zu­tage – im Kontext des Klima­wan­dels – sind die in den Straßen liegenden Infra­struk­turen nicht mehr in der Lage, mit den dadurch indu­zierten Ände­rungen der Regen­cha­rak­te­ristik umzugehen. Immer häufiger kommt es zu starken Regen­er­eig­nissen (über zwei­jähr­lich), in deren Folge die Kanäle über­laufen und zum Teil große Schäden verur­sa­chen. Die Infra­struktur kann mit den Wasser­massen nicht umgehen und neben örtlichen Über­flu­tungen gelangen auch unge­klärte Abwas­ser­stoffe an die Ober­fläche, da die Kanäle hydrau­lisch entlastet werden müssen, was die Umwelt stark belastet. Solche Entlas­tungs­er­eig­nisse kommen in den letzten Jahren immer öfter vor, vor allem durch die immer häufiger auftre­tenden Stark­re­gen­er­eig­nisse bis hin zu extremen Nieder­schlägen, bei denen pro Tag bis zu einem Zehntel der durch­schnitt­li­chen Jahres­menge fällt. Wie am 16. August 2023 in Frankfurt am Main, als beim stärksten jemals in Deutsch­land aufge­zeich­neten Regen­er­eignis innerhalb eines Nach­mit­tags 62,5 Milli­meter Nieder­schlag fielen – bei 660 Milli­meter durch­schnitt­li­cher Jahres­menge (Quelle: Deutscher Wetter­dienst).

Während der bereits beschrie­benen Hitze­pe­ri­oden jedoch fallen die Kanäle trocken und können in Teilen ihren eigent­li­chen Zweck, nämlich die Entsor­gung von Abwasser, nicht mehr korrekt erfüllen. Lange Trocken­pe­ri­oden bedeuten darüber hinaus, dass der Grund­was­ser­spiegel sich nicht natürlich rege­ne­rieren kann und abfällt. Dies belastet die Trink­was­ser­ver­sor­gung in einigen Gegenden so extrem, dass es hier bereits zu Einschrän­kungen kam, bis hin zu mobilen Wasser­lie­fe­rungen in einigen Regionen Deutsch­lands. Für solche extremen Belas­tungen ist die Infra­struktur nicht ausgelegt.

Im Gegenzug entzieht die graue Infra­struktur den Städten das Wasser, und die Städte trocknen aus. Abb.: FG est

Grün statt grau: Die Rolle grüner Infra­struktur

In den letzten Jahren hat man daher mehr und mehr damit begonnen, den klas­si­schen „Out of sight, out of mind“-Ansatz zu hinter­fragen, und anstatt auf graue beto­nierte Infra­struktur eher auf soge­nannte grüne Infra­struktur zu setzen, die sich in ihrem Konzept an den Prozessen und Fähig­keiten der Natur bezie­hungs­weise ihrem Ökosystem orien­tiert. Es geht in diesen Ansätzen nicht mehr nur darum, Wasser so schnell wie möglich in den Kanal zu leiten, sondern auch darum, es zu speichern. Grün­dä­cher können als Reten­ti­ons­räume ausge­bildet werden, die das Wasser verzögert ableiten, soge­nannte Regen­gärten (Rain­gar­dens) können Nieder­schlag lokal versi­ckern, um somit den natür­li­chen Kreislauf zu stärken, und richtige Reten­ti­ons­mulden werden gestaltet, um Wasser­massen eines hundert­jäh­rigen Regens auffangen zu können, und um diese dann langsam und verzögert entweder zu versi­ckern oder einen ange­mes­senen Teil den Flüssen zuzu­führen.

Solche Konzepte funk­tio­nieren gut und haben sich in den letzten Jahren auch unter dem Namen „Schwamm­stadt“ etabliert. Aller­dings sind diese Projekte im Regelfall noch zu klein, um auf Stadt- oder Quar­tiers­ebene etwas zu bewegen, was auch daran liegt, dass solche Flächen als tech­ni­sche Infra­struktur betrachtet werden, anstatt als inte­grierter Teil einer lebens­werten, nach­hal­tigen Stadt. Im lokalen Maßstab können sie einen Beitrag zum Hoch­was­ser­schutz leisten, indem sie das anfal­lende Regen­wasser zwischen­spei­chern und indirekt damit die Kanäle entlasten, was weit­rei­chende positive Folgen für die Umwelt hat, da jedes verhin­derte Entlas­tungs­er­eignis die Natur schont.

Dadurch, dass Elemente der grünen Infra­struktur aber unter dem Narrativ des nach­hal­tigen, flexiblen Hoch­was­ser­schutzes geplant werden, erfüllen sie diesen Zweck im Falle von Regen­er­eig­nissen gut, sind aller­dings auch auf Wasser ange­wiesen, um zu funk­tio­nieren. Durch die Auswahl klima­re­si­li­enter Pflanzen kommen diese Systeme auch mal einige Tage ohne Wasser klar, aller­dings geraten sie auch unter Druck, wenn es länger nicht regnet, und sollten dann künstlich bewässert werden, um das zugrun­de­lie­gende Ökosystem schützen zu können.

Grüne Infra­struktur im urbanen Raum

Wenn grüne Infra­struktur richtig einge­setzt wird, beispiels­weise im Rahmen der soge­nannten „wasser­sen­si­tiven Stadtgestal­tung“, betrachtet diese neben dem tech­ni­schen Hoch­was­ser­schutz auch immer soziale, kultu­relle und ökolo­gi­sche Quali­täten. Leider passiert das vor allem in Deutsch­land noch zu selten, da diese, wie bereits erwähnt, als tech­ni­sche Elemente verstanden und geplant werden. Die Über­la­ge­rung verschie­dener Aspekte, die neben dem Hoch­was­ser­schutz auch andere Aufgaben über­nehmen, ist jedoch der Schlüssel zur Inte­gra­tion von grüner Infra­struktur in den Stadtraum. So können Spiel­plätze als Reten­ti­ons­flä­chen gestaltet, Rain­gar­dens und Sicker­mulden als Aufent­halts­flä­chen verstanden werden oder kleine Bachläufe als Wasser­spiel­plätze für Kinder. Solche Projekte gibt es, aber die Planungs­pro­zesse in Deutsch­land und das gesetz­liche Regelwerk bieten derzeit nur einen über­schau­baren Rahmen zur Reali­sie­rung solcher, in den urbanen Raum inte­grierten Elemente.

Wasser­re­cy­cling und dezen­trale Ansätze

Noch kompli­zierter, aber auch span­nender wird es, wenn die Konzepte neben Hoch­was­ser­schutz auch aktives, mögli­cher­weise semi- oder dezen­trales Wasser­re­cy­cling vorsehen, um die Wasserver- und ‑entsor­gung zu entlasten. Dabei steckt in der Verbin­dung der beiden Elemente sicher­lich das größte Potenzial, wenn es um Wasser und Klima­re­si­lienz geht: Grüne Infra­struktur wird auf der Entsor­gungs­seite einge­setzt, um Hoch­was­ser­schutz zu gewähr­leisten, bei gleich­zei­tiger Berück­sich­ti­gung von sozialen, kultu­rellen und visuellen Quali­täten, während auf der Versor­gungs­seite Wasser­kreis­läufe neu definiert werden, um eine effek­ti­vere Nutzung der Ressource zu ermög­li­chen. Während Regen­wasser als natür­liche Ressource in unter­schied­li­chen Regen­er­eig­nissen phasen­weise und jahres­zeit­ab­hängig vorhanden ist, ist das durch Menschen benutzte Wasser zwar dauerhaft verfügbar, bezogen auf die Menge jedoch deutlich weniger. Beide Ansätze können sich innerhalb eines Gesamt­kon­zepts ergänzen, über­schneiden oder gegen­seitig stabi­li­sieren, was als Schlüssel zu einer Zero Water City verstanden werden kann.

Fall­bei­spiel – ReSource:Mannheim

Die 114 Wohn­ein­heiten werden zentral um ein Teich­system entwi­ckelt, das nicht nur tech­ni­schen Hoch­was­ser­schutz bietet, sondern ebenfalls als Wasser­re­ser­voir zur Bewäs­se­rung der Grün­an­lagen dient. Daneben wurde das Gesamt­kon­zept unter Berück­sich­ti­gung atmo­sphä­ri­scher Quali­täten gestaltet. Abb.: FG est

In Mannheim entsteht derzeit ein Wohnungs­bau­pro­jekt, das die verschie­denen Ansätze – inte­grierten Hoch­was­ser­schutz durch grüne Infra­struktur und Wasser­re­cy­cling – bereits in einer sehr frühen Planungs­phase konzep­tio­nell vereint und damit vorsich­tige erste Schritte in Richtung einer wasser­aut­arken Siedlung geht. Die Wohn­an­lage, in der insgesamt 114 Wohn­ein­heiten errichtet werden, befindet sich dabei am Adolf-Damaschke-Ring und besteht im Kern aus drei Zeilen, die um einen begrünten Innenhof mit offenen Wasser­flä­chen ange­ordnet sind. Das Projekt befasst sich mit nach­hal­tiger Regen- und Grau­was­ser­nut­zung im Kontext der wasser­sen­si­tiven Stadt und versteht Wasser als wertvolle Ressource durch tech­ni­sche Unter­stüt­zung natür­li­cher Wasser­kreis­läufe, um die Effizienz der Wasser­nut­zung zu maxi­mieren. Das Projekt wird seit 2018 von mehreren Partnern reali­siert, unter Leitung der Tech­ni­schen Univer­sität Darmstadt und der Mann­heimer Wohnungs­bau­ge­sell­schaft GBG, und wird durch die Deutsche Bundes­stif­tung Umwelt (DBU) gefördert. Kern des Projekts ist die Entwick­lung eines Systems zur Regen- und Grau­was­ser­nut­zung, das innerhalb der Haushalte zum einen Wasser für die Toilet­ten­spü­lung und Wasch­ma­schinen wieder­ver­wendet, zum anderen aber auch über­schüs­siges Grau­wasser nach Aufbe­rei­tung in ein naturnah gestal­tetes Teich­system leitet. Hier wird Wasser, bezie­hungs­weise das damit verbun­dene Ökosystem, als bestim­mendes Element der Frei­raum­ge­stal­tung einge­setzt, bevor das Wasser genutzt wird, um die angren­zenden Grünräume zu bewässern. Neben einer Erhöhung der lokalen Biodi­ver­sität sorgt dieses Konzept dafür, dass die gesamte Anlage und die dort vorhan­dene grüne Infra­struktur auch während längerer Trocken­pe­ri­oden geschützt ist, da durch das Grau­wasser konstant Wasser verfügbar ist – dieses jedoch so ausgelegt ist, dass der hundert­jäh­rige Regen voll­ständig zurück­ge­halten werden kann.

Die inno­va­tiven Wasser­kreis­läufe bezie­hungs­weise in erster Linie der haus­in­terne Wasser­kreis­lauf reduziert dabei den Trink­was­ser­bezug um knapp 42 Prozent, da neben der WC-Spülung auch die Wasch­ma­schine mit dem Grau­wasser betrieben wird. Der zweite, externe Kreislauf sorgt dafür, dass die Grün­flä­chen dauerhaft bewässert werden können und spart dadurch rein theo­re­tisch weitere Prozente, da für die Bewäs­se­rung der Grün­an­lagen in der Regel ebenfalls kostbares Trink­wasser verwendet wird. Unter der Annahme, dass die Bewäs­se­rung der Frei­an­lagen komplett durch das inte­grierte Teich­system gewähr­leistet wird, kommt das Projekt auf eine Ersparnis von 60 Prozent, was das Einspar­po­ten­zial gegenüber klas­si­schen Neubau­pro­jekten verdeut­licht. Auch wenn global betrachtet die Wohnungs­wirt­schaft nicht der größte Verbrau­cher von Trink­wasser ist, sondern Industrie und Land­wirt­schaft, bedeutet die Ersparnis eine dras­ti­sche Reduktion der Abhän­gig­keit von der Wasser­in­fra­struktur, sowohl auf der Versorger- als auch Entsor­ger­seite. Dies ist vor allem im Kontext der Diskus­sion um die Folgen des Klima­wan­dels von hoher Relevanz.

Über­trag­bar­keit auf andere Projekte

Im Zuge der Begleit­for­schung des Projekts wurde durch die TU Darmstadt eine Studie ange­fer­tigt (Schulze et al 2024), die sich mit dem Über­tra­gungs­po­ten­zial des Konzepts auf andere Projekte ausein­an­der­setzt. Dabei wurden sowohl Neubauten als auch hinsicht­lich der Baual­ters­klasse sanie­rungs­be­dürf­tige Bestands­bauten berück­sich­tigt, die in ihrer Größe, Dichte und Struktur mit dem Projekt in Mannheim vergleichbar sind, um das Konzept ohne grund­le­gende Ände­rungen adap­tieren zu können. In Darmstadt wurden dabei 22 vergleich­bare Wohnungs­bau­pro­jekte iden­ti­fi­ziert, die im Anschluss unter­sucht wurden. Das reine Einspar­po­ten­zial von Trink­wasser wurde innerhalb der Studie auf 147 Millionen Liter Trink­wasser pro Jahr beziffert, was verdeut­licht, wie viel Wasser wir sparen können, wenn wir den klas­si­schen zentralen Ansatz unserer In­frastruktur neu denken und auch offen sind für neue und dezen­trale Konzepte. Darüber hinaus wurde ein Regen­rück­hal­te­vo­lumen von weiteren zwei Millionen Litern im Stark­re­gen­fall iden­ti­fi­ziert, das zwar im Vergleich zu den Trink­was­ser­zahlen relativ klein erscheint, bezogen auf starke Regen­er­eig­nisse jedoch massive Entlas­tungen der Infra­struktur bedeuten und dafür sorgen könnte, dass die Kanäle nicht mehr über­laufen.

Wirt­schaft­liche Über­le­gungen und Zukunfts­per­spek­tiven

Die Mehr­kosten für das wasser­sen­si­tive Konzept in Mannheim gegenüber einer klas­si­schen Immo­bi­li­en­ent­wick­lung liegen circa zwischen einem und zwei Prozent der Bausumme. Bei 120 Wohnungen macht sich dies in Summe zwar bemerkbar, jedoch beschränken sich die Kosten auf die Erst­in­ves­ti­tion. Der Betrieb der Anlage trägt sich selbst durch massive Einspa­rungen in der Wasser­ver­sor­gung bezie­hungs­weise Erspar­nissen in den Entsor­gungs­ge­bühren, was die Mehr­kosten rela­ti­viert. Unter Berück­sich­ti­gung der Tatsache, dass es sich hierbei um einen Piloten handelt, der mit diverser Über­wa­chungs- und Sicher­heits­sen­sorik ausge­stattet ist, kann man weiterhin davon ausgehen, dass solche Projekte in Zukunft preis­werter entwi­ckelt werden – auch wegen der immer günstiger werdenden Technik. Abschlie­ßend bleibt jedoch fest­zu­halten, dass Werte, hinter denen eine Währung steht, in letzter Konse­quenz für Inves­toren immer noch einfacher zu verstehen sind als der Wert von Biodi­ver­sität, grünen Oasen oder Klima­re­si­lienz.

Die groß­flä­chige Imple­men­tie­rung solcher Projekte erfordert nicht nur ein Umdenken in der Stadt­pla­nung, sondern sicher­lich auch Anpas­sungen der recht­li­chen Rahmen­be­din­gungen. Vor allem in Deutsch­land sind viele Flächen im Stadtraum als tech­ni­sche Infra­struktur klas­si­fi­ziert, was die Inte­gra­tion von grüner Infra­struktur als multi­funk­tional genutzte Flächen erschwert. Zudem müssen bestehende Bauvor­schriften und Wasser­ge­setze berück­sich­tigt und gege­be­nen­falls angepasst werden, um den Einsatz grüner Infra­struktur zu fördern. Verschie­dene Wasser­qua­li­täten werden in verschie­denen Regel­werken definiert, und häufig ist es so, dass Regen­wasser, das als Stra­ßen­wasser aufge­fangen wird, pauschal als „Abwasser“ betrachtet werden muss, was eine inte­grierte Planung zusätz­lich erschwert. Die Technik jedoch ist heute mitt­ler­weile so weit, dass jede beliebige Wasser­qua­lität als nutzbare Ressource verstanden werden und voll­kommen problemlos einer Weiter­nut­zung zugeführt werden kann – eine Entwick­lung, die vor allem in den letzten 15 Jahren voran­ge­schritten und derzeit noch nicht in den Gesetzen abge­bildet ist. Nur eine enge Zusam­men­ar­beit zwischen Archi­tekten, Stadt­pla­nern, Inge­nieuren, Juristen und poli­ti­schen Entschei­dungs­trä­gern kann inno­va­tive Lösungen ermög­li­chen, die ihrer Zeit voraus sind – und dem Klima­wandel aktiver entge­gen­wirken.

Dr.-Ing. Simon Gehrmann ist Architekt und arbeitet seit 2012 am Fach­ge­biet Entwerfen und Stadt­ent­wick­lung der TU Darmstadt. Er hat im Bereich der Wasser­sen­si­tiven Stadt­ge­stal­tung 2018 promo­viert und nach längeren Forschungs­auf­ent­halten in China, Singapur und Austra­lien berät er nun vor allem in Deutsch­land Archi­tekten und Archi­tek­tinnen, Kommunen und Bauträger im nach­hal­tigen Wasser­ma­nage­ment. Seit 2024 ist er Partner bei der Planungs­gruppe Darmstadt – Archi­tekten und Stadt­planer.

Unsere Städte sind geprägt von einer Reihe unsicht­barer, in den Straßen liegenden Infra­struk­turen, die sowohl die Wasserver- und ‑entsor­gung sicher­stellen sollen, als auch lokalen Hoch­was­ser­schutz. Abb.: FG est
Die in der Straße liegenden Kanäle sind vor allem bei Stark­regen nicht in der Lage, die Wasser­massen aufzu­nehmen. In Folge kommt es zu Über­schwem­mungen. Abb.: FG est
Im Gegenzug entzieht die graue Infra­struktur den Städten das Wasser, und die Städte trocknen aus. Abb.: FG est
Die 114 Wohn­ein­heiten werden zentral um ein Teich­system entwi­ckelt, das nicht nur tech­ni­schen Hoch­was­ser­schutz bietet, sondern ebenfalls als Wasser­re­ser­voir zur Bewäs­se­rung der Grün­an­lagen dient. Daneben wurde das Gesamt­kon­zept unter Berück­sich­ti­gung atmo­sphä­ri­scher Quali­täten gestaltet. Abb.: FG est