In Mays Wohn­zimmer

Gespräche mit Susanne Wartzeck

Die Präsi­dentin des BDA, Susanne Wartzeck, und der Chef­re­dak­teur dieser Zeit­schrift, Andreas Denk, treffen sich diesmal in der Siedlung Römer­stadt, die Ernst May 1925 – 1927 in Frankfurt geplant hat. Wir sind zu Gast in einem Haus, das die Ernst-May-Gesell­schaft unter Bewahrung der Origi­nal­sub­stanz wieder herge­richtet hat. Wir sitzen im Wohn­zimmer, das mit „bauzeit­li­chen“ Seri­en­mö­beln von Franz Schuster ausge­stattet ist, und blicken in die Frank­furter Küche und in den Zier- und Nutz­garten, der den Anwohnern nicht nur zur Freude, sondern auch zur Selbst­ver­sor­gung diente. Unser Thema brennt auf den Nägeln: Es geht um Verga­be­ver­fahren (VgV) und Archi­tektur-Wett­be­werbe.

Andreas Denk: Die Verga­be­ord­nung und das Wett­be­werbs­wesen sind zwei Dauer­brenner der berufs­po­li­ti­schen Debatte – beide Themen waren Schwer­punkt der BDA-Bundes­vor­stands­sit­zung im März. Was haben Sie der ange­regten Diskus­sion entnommen?

Susanne Wartzeck: Beides bereitet zunehmend Probleme im alltäg­li­chen Berufs­leben. Wir haben fest­ge­stellt, dass sich die Auftrags­lage, was die öffent­liche Hand betrifft, in den letzten zehn Jahren sehr positiv entwi­ckelt hat. Die Zahl der ausge­lobten Wett­be­werbe ist indes bis 2019 immer auf dem gleichen Niveau geblieben. Ab 2020 ist ihre Zahl – vorder­gründig wegen der Corona-Pandemie – sogar noch geringer geworden. Diese Stagna­tion im Wett­be­werbs­wesen hat uns verwun­dert und durchaus erschro­cken.

Andreas Denk: Es ist nicht nur die mickrige Zahl an Wett­be­werben, die das Leben schwerer macht, sondern es sind auch die Rahmen­be­din­gungen.

Foto: Andreas Denk
Foto: Andreas Denk

Susanne Wartzeck: Im täglichen Tun spüren wir, dass die Anfor­de­rungen und Beschrän­kungen bei Vergabe und Wett­be­werb immer größer werden. Es stellt sich immer häufiger die Frage, wer an diesen Verfahren überhaupt noch teil­nehmen kann und soll. Für junge und kleinere Büros hat die Proble­matik noch größere Virulenz. Kaum jemand aus dieser Gruppe hat drei Labor­ge­bäude in den letzten fünf Jahren gebaut – oder wie immer die Anfor­de­rungen für eine Teilnahme auch gesetzt sein mögen. Allein solche Bedin­gungen sind hane­bü­chen: Das Planen und vor allem das Bauen benötigt längere Zeiträume, drei bis fünf Jahre für ein Projekt sind nicht unge­wöhn­lich. Ein zweites Problem ist der Wegfall der Hono­ra­rober- und ‑unter­grenzen. In der Kombi­na­tion mit Verga­be­ver­fahren spielt zunehmend der Preis, zu dem unsere Leistung angeboten wird, eine entschei­dende Rolle – und dies, obwohl in der VgV ein Leis­tungs­wett­be­werb gefordert wird, also die ange­bo­tene Qualität vor dem Preis über den Zuschlag entscheiden soll. Wir können dabei die Submis­si­ons­er­geb­nisse nicht kontrol­lieren, wie es bei der Vergabe bei Hand­wer­kern üblich ist, und was zu einer Regu­la­tion des Marktes führt. Dieses Prinzip der Ange­bots­trans­pa­renz wäre auch für Archi­tekten nützlich, weil es ermög­lichte, in bestimmten Fällen an die Soli­da­rität der Kollegen zu appel­lieren, um exis­tenz­ge­fähr­dende Preis­un­ter­bie­tungen zu vermeiden. Dabei könnte der Basiswert der HOAI, der nur der Hono­rar­un­ter­grenze entspricht und vor zehn Jahren fest­ge­legt wurde, als Richt­linie gelten, die wir nicht unter­schreiten sollten. Sonst machen wir uns gegen­seitig kaputt.

Andreas Denk: Die Einfluss­mög­lich­keiten der Archi­tek­ten­schaft auf legis­lativ geregelte ökono­mi­sche Zusam­men­hänge ist gering, weil sie auf Exper­tisen beruhen, die sich nur teilweise aus Erfah­rungen und Kennt­nissen der Archi­tek­ten­schaft speisen. Durch die Aushe­be­lung der HOAI hat sich die Situation nicht verbes­sert. Welche Position wird der BDA zu diesem Themen­kom­plex beziehen?

Susanne Wartzeck: Es muss zwei Stra­te­gien geben: In unserem Kreis frei­schaf­fender Archi­tek­tinnen und Archi­tekten müssen wir soli­da­risch zusam­men­stehen und dürfen uns nicht gegen­ein­ander ausspielen lassen. Wir haben derzeit eine Hoch­kon­junktur, die wir nutzen können. Die Pandemie wird spätes­tens in zwei Jahren erkenn­bare Effekte auf unser Auftrags­vo­lumen haben. Wenn wir bis zu diesem erwart­baren Einbruch keine soli­da­ri­sche Praxis eingeübt haben, wird es einen exis­tenz­be­dro­henden Verdrän­gungs­wett­kampf geben. Ihn werden viel­leicht am ehesten die größeren Einheiten überleben, wohin­gegen kleine Büros mit drei oder vier Mitar­bei­tern zusehen müssen, wie sie überhaupt noch zum Zuge kommen. Wir müssen für ein Einver­nehmen kämpfen, das die wirt­schaft­liche Auskömm­lich­keit auch für kleine und mittlere Büros garan­tiert.

Andreas Denk: Was muss die Politik tun?

Susanne Wartzeck: Von der Politik erwarten wir die Heraus­gabe einer Muster­aus­schrei­bung, die Verga­be­ver­fahren zugrunde liegen sollte. Städte und Kommunen konsul­tieren zumeist juris­ti­sche Berater bei der Vergabe. Das geschieht nicht aus böser Absicht, sondern aus der Befürch­tung heraus, Fehler zu machen und Steu­er­gelder zu verschwenden. Diese Berater sehen solche Verfahren allein aus juris­ti­scher Sicht, die vom Sicher­heits­denken geprägt ist. Juris­ti­sche Ratschläge wider­spre­chen häufig jedoch den Notwen­dig­keiten eines Baupro­zesses, der auf gute Qualität zielt. Allein über quan­ti­tativ abprüf­bare Sach­ver­halte kann man keine gute Archi­tektur machen. Auch um die gefor­derten Refe­renz­ob­jekte richtig zu beur­teilen, sind Sach- und Fach­ver­stand nötig.

Andreas Denk: Es ist eher die fachliche Über­for­de­rung der Entschei­dungs­träger als absichts­volles poli­ti­sches Handeln, das die Misere bewirkt?

Foto: Andreas Denk
Foto: Andreas Denk

Susanne Wartzeck: Eigent­lich müssen Städte und Kommunen begründen, warum es nicht zum Wett­be­werb kommt. Erst dann sollen Verga­be­ver­fahren verwendet werden. Und die VgV sollte eine Markt­öff­nung, und nicht wie jetzt eine Verengung des Markt­zu­gangs bewirken. Das prin­zi­piell richtige poli­ti­sche Konzept hat sich nicht eingelöst, und deshalb müssen wir für unsere Sicht der Dinge werben, aber auch Druck ausüben. Aus Bayern kam der Vorschlag, gemeinsam mit den Kammern eine Art Rüge­ab­lauf zu erar­beiten, der Teil­neh­mern an Archi­tek­tur­wett­be­werben zur Verfügung steht. Bei unkor­rekten Ausschrei­bungen ist der Fall einfach, kompli­zierter wird es bei Ausle­gungs­fragen, wenn es um die Ange­mes­sen­heit von Ausschrei­bungen geht. Bei letzterem brauchen Archi­tekten juris­ti­sche Beglei­tung, die die Kammern gewähren könnten. Sie müssten sich parallel zu den beschwer­de­füh­renden Büros an die Auslober wenden, um zu verdeut­li­chen, dass es nicht um ein Parti­ku­lar­in­ter­esse geht, sondern um einen allge­meinen Belang. So lässt sich viel­leicht verhin­dern, dass sich Fehl­ent­wick­lungen einschleifen.

Andreas Denk: Die Setzung der VgV mag richtig gewesen sein, aber ihre Ausfüh­rung deutet auf eine krasse Fehl­ein­schät­zung ihrer Wirk­sam­keit. Sie bewirkt schluss­end­lich das Gegenteil – ist diese Entwick­lung den politisch Handelnden bewusst?

Susanne Wartzeck: Der Rege­lungs­me­cha­nismus setzt in der falschen Ebene an: Die VgV, mit der archi­tek­to­ni­sche Leis­tungen geregelt werden sollen, befindet sich auf gleichem Niveau mit ähnlichen Verga­be­ord­nungen der Länder, mit denen Schuss­waffen für Poli­zei­be­amte oder Toilet­ten­pa­pier für Schulen besorgt wird. Es ist skurril, schöp­fe­ri­sche Leis­tungen in solche Mecha­nismen einbetten zu wollen. Wir bieten ein Werk an – und keine Dienst­leis­tung. Proble­ma­tisch wird es erst recht, wenn Menschen, die keine Ahnung vom Bauen und der Archi­tektur haben, buch­sta­ben­ge­treu anwenden, was in der Verord­nung steht. Wenn man mit Vertre­tern der Politik spricht, glaubt keiner, dass die VgV gut funk­tio­niert.

Andreas Denk: Müsste da nicht die Bundes­ar­chi­tek­ten­kammer mit wehenden Fahnen zum Angriff übergehen? Warum übernimmt der BDA diese Rolle?

Susanne Wartzeck: Sie haben völlig recht. Das Verga­be­wesen ist ein ureigenes Kammer­thema, das Priorität haben müsste. Seit geraumer Zeit haben wir bundes­weit Länder­kam­mern, und trotzdem tun sie mitunter ihre Arbeit nicht, wie sie es müssten. Darum ist es wichtig, dass wir uns mit der Bundes­ar­chi­tek­ten­kammer, den Länder­kam­mern und den anderen Archi­tek­ten­ver­bänden zusam­men­schließen, um unseren Protest stärker zu machen.

Andreas Denk: Was wollen Sie nach den resi­gnativ stim­menden statis­ti­schen Erkennt­nissen tun, um das Wett­be­werbs­wesen zu fördern? Oder ist das Instru­ment inzwi­schen obsolet?

Susanne Wartzeck: Gegen Wett­be­werbe spricht die konti­nu­ier­liche Selbst­aus­nut­zung, die damit verbunden ist, und die von der Gesell­schaft nicht gewürdigt wird. Und es spricht dagegen, dass Wett­be­werbe nicht die Berufs­rea­lität von Archi­tekten abbilden. Aber: Der Wett­be­werb ist das ureigene Feld des leiden­schaft­li­chen BDA-Archi­tekten, der mit Herzblut, Verve und bis zur geistigen und körper­li­chen Erschöp­fung an einer Abgabe feilt, sich damit der Konkur­renz stellt und seine Leistung zur allge­meinen Begut­ach­tung freigibt. Mit jeder Wett­be­werbs­ab­gabe hat man die Möglich­keit, den eigenen Stand­punkt neu zu bestimmen und die eigene archi­tek­to­ni­sche Leistung besser einzu­ordnen.

Andreas Denk: Bei der relativ geringen Anzahl an Wett­be­werben ist jedoch keine Besserung in Sicht. Preis­ränge und Ankäufe sind heut­zu­tage schon große Erfolge.

Foto: Andreas Denk
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Susanne Wartzeck: Gerade einmal acht Prozent der Wett­be­werbe sind offen, alle anderen haben Beschrän­kungen, die insbe­son­dere jungen Büros eine Mitwir­kung verwehren. Wir über­re­gu­lieren uns im Bauen so sehr, dass Bauherren befürchten, dass junge und uner­fah­rene Büros an der Aufgabe scheitern könnten. Das kann auch passieren. Wir müssen deshalb soli­da­risch mit solchen Büros sein: Wir können ihnen das gemein­same Bewerben und Bear­beiten eines Wett­be­werbs anbieten, um ihnen überhaupt einen Zugang zu ermög­li­chen und sie überdies mit Erfahrung unter­stützen, wenn es um die Ausfüh­rung geht. Auch solche Kolla­bo­ra­tionen sind jetzt zu üben, wo es uns relativ gut geht und wir ohne Exis­tenz­angst arbeiten können. Aber das ist nur die interne Option, die Erleich­te­rung bringen kann. Wir müssen auch hier mit der Kammer koope­rieren, um eine grund­sätz­liche Vermeh­rung und Verbes­se­rung des Wett­be­werbs­we­sens zu bewirken, sonst sehe ich die Zukunft des Wett­be­werbs sehr düster.

Foto: Andreas Denk
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